Hühner und Puten

Entnommen von Tierfabriken Widerstand.

Hühner

Moderne Hühner sind die Ergebnisse zielgerichteter Züchtung.[i] Da Hühner von Menschen zu zwei verschiedenen Zwecken – Fleisch- und Eierproduktion – genutzt werden, wurden zwei verschiedene Hühnerarten gezüchtet. Während die einen besonders schnell besonders viel Fleisch ansetzen, bringen die anderen besonders hohe Legeleistungen. Der menschliche Nutzungsanspruch prägt so bereits die Körper der Tiere; die Bezeichnungen bilden die jeweiligen Funktionen ab: Fast jedes genutzte Huhn ist heute entweder ein „Masthuhn“ oder eine „Legehenne“.

Hühner in der Mast

„Masthühner“ leben in den modernen Mastanlagen zu Zehntausenden in einer Halle. Sie werden als Küken aus der Brüterei in die Anlage gebracht und erreichen dort innerhalb von knapp fünf bis sechs Wochen ihr Schlachtgewicht.[ii] Pro Quadratmeter drängen sich über 20 Tiere.[iii] Die Hühner können nicht ungestört ruhen, ihren arttypischen Verhaltensweisen wie der Nahrungssuche oder dem Staubbaden nicht nachgehen, geschweige denn angemessen miteinander agieren und soziale Beziehungen pflegen.[iv] Gesäubert wird der Stall nur zwischen den Mastperioden, so dass die Hühner in ihren eigenen Exkrementen stehen. Fußkrankheiten sind die Regel; andere durch Turbomast und Enge verursachte Krankheiten und Leiden sind häufig.[v] Nach Ablauf der Mastperiode werden die Hühner in Plastikkisten gepackt und zum Schlachthof gefahren, wo sie mit Gas oder im Elektrowasserbad betäubt, durch Kehlenschnitt getötet, entblutet, zerteilt und weiterverarbeitet werden[vi].

Kurzes Video von ZDF-37 Grad zur Mast-Kücken-„Produktion“:

https://www.facebook.com/ZDF37Grad/videos/2046818058701682/

Hühner in der Eierproduktion

Der Lebenszweck von „Legehennen“ ist die Eierproduktion. In der Natur dienen die Eier aller Vögel der Fortpflanzung. Die nicht-domestizierten Vorfahren heutiger Hühner legen zwei- bis viermal pro Jahr fünf bis zehn Eier, die sie in selbstgebauten Nestern ausbrüten. Durch gezielte Züchtung wurde der Bruttrieb heutiger Nutzhühner stark verringert sowie der Eier-Ertrag pro Huhn auf über 300 Eier pro Jahr gesteigert.[vii] In den meisten großen Tierfabriken leben die Hühner in Bodenhaltung, d.h. es sind mehrere zehntauende Hühner in großen Hallen, teilweise mit so genannten Volierensystemen. Die erlaubte Besatzdichte ist neun Hennen pro Quadratmeter, bei mehreren Etagen 18 pro Quadratmeter Bodenfläche. Ab einer Gruppengröße von ca. 50 Tieren können Hühner keine stabile Rangordnung mehr aufbauen; eine häufige Folge sind Verhaltensstörungen wie Federpicken, das sich bis zum Kannibalismus ausweiten kann.[viii]

Kaum eine „Legehenne“ wird älter als etwa eineinhalb Jahre. Nach dieser Zeit lässt die Legeleistung nach und es ist am profitabelsten, die Hennen durch neue zu ersetzen[ix]. Die „verbrauchten“ Tiere werden getötet und gewöhnlich als „Suppenhühner“ vermarktet. Ebenfalls nicht profitabel ist es, die männlichen Küken, die im Rahmen der „Produktion“ von Hennen für die Eierindustrie entstehen, aufzuziehen: Sie legen keine Eier und sind auch nicht zur Mast geeignet, da sie aufgrund der Züchtung zu wenig Fleisch ansetzen. Um die 50 Millionen Küken werden daher jedes Jahr im Alter von wenigen Tagen vergast oder geschreddert.[x] [xi]

Puten

In Deutschland leben rund 12,4 Mio. Mastputen in konventioneller Haltung. Rund 88 % dieser Puten werden in Mastbetrieben mit 10.000 und mehr Tieren gehalten.
Den Mastbetrieben vorgeschaltet sind Vermehrungsbetriebe, in denen Elterntiere zur Produktion von Nachwuchs – die zukünftigen Mast- oder Zuchttiere – gehalten werden, und Brütereien, in denen die Eier aus den Vermehrungsbetrieben in vollautomatischen Brutmaschinen ausgebrütet werden.

Bei der heutigen Putenmast steht die schnelle Gewinnung von Fleisch im Vordergrund. Eingesetzt wird dafür in Deutschland überwiegend die Hybridrasse „B.U.T. 6“ („Big 6“), die auch „schwere Zerlegepute“ genannt wird – eine Bezeichnung, die sich nur noch auf die spätere Weiterverarbeitung bezieht. Die Tiere entstammen wenigen großen Zuchtunternehmen, die in der Dachorganisation Aviagen Turkeys vereint sind.

Von Mästern gewünscht – jedoch als hoch problematisch zu bewerten – ist bei den Puten dieser Hybridlinie die Gewichtszunahme: Während ein männliches Küken noch etwa 60 Gramm wiegt, beträgt sein Gewicht am Ende der Mast bis zu 21 kg – das entspricht einer 350-fachen Gewichtssteigerung. Sogar „Spitzenleistungen“ von knapp 24 kg werden erreicht. Zum Vergleich: Ein Wildputer wiegt gerade einmal 5 kg. Und noch vor 30 Jahren wog ein Mastputer durchschnittlich 11 kg. Zudem problematisch ist die Überzüchtung auf einen überdimensionalen Brustfleisch-Anteil aufgrund von Verbraucherpräferenzen – die Brustmuskulatur macht letztlich bis zu 40 % des gesamten Körpergewichts aus.

Die Überzüchtung ist mit erheblichen gesundheitlichen Schäden für die Puten verbunden: Als Folge der Belastung durch das ungleiche Verhältnis von Muskulatur zu den inneren Organen und die Überbeanspruchung des Stoffwechsels versagt häufig ihr Körper.[xii]

„Die Pute ist besonders überzüchtet“, sagt Martin Hofstetter, der seit Langem für Greenpeace die Landwirtschaft beobachtet. Da kämen selbst das Turbohähnchen, das Riesenschinkenschwein und die Hochleistungskuh nicht mit. Die Pute sei das beste Beispiel für den Schwund genetischer Vielfalt im Stall. Die Züchter selektierten nach wenigen Leistungsmerkmalen. Puten müssen schnell wachsen, kein Fett ansetzen, viel Muskelfleisch bringen. 1991 machte die Putenbrust noch 14 Prozent des Körpergewichts eines Tieres aus. Heute sind es fast 30 Prozent.

Die Agrarindustrie entdeckte die Putenmast spät, aber gründlich – mit strikter Arbeitsteilung: Weltweit beherrschen die drei Zuchtfirmen Aviagen und Willmar Poultry Company aus den USA sowie Hendrix Genetics (Niederlande) den Markt. Ihre Eier liefern sie an ein „Vermehrungsunternehmen“. Diese schicken ihre Eier zu „Brütereien“. Und erst diese verkaufen Küken an die Landwirte.

Die Pute machte Karriere, obwohl die Mast bald in Verruf geriet, wegen Einsatz von Antibiotika und Verstößen gegen den Tierschutz. Anfang der 80er aß jeder Westdeutsche 1,6 Kilo Pute im Jahr, heute sind es 6,1 Kilo.

In Deutschland gibt es nicht viel mehr als die zwei alten Wirtschaftsrassen „Bronze-Pute“ und „Cröllwitzer-Pute“. Weniger als 2000 insgesamt, auf kleinen Bauernhöfen. Sie fliegen abends in die Bäume, legen jedes Jahr Eier. Ihre Küken verstecken sie in den Brennnesseln, bis sie etwas größer geworden sind. Sie sind das Gegenteil von dem, was die Lebensmittelwirtschaft als wirtschaftlich ansieht. Zu wenig Gewicht, zu langsam im Wachstum. Den gewünschten Ertrag bringen sie nicht.[xiii]

Im Anschluss an den Transport aus den Brütereien in die Mastbetriebe verbringen die Tiere ihre ersten Tage in sogenannten Aufzuchtringen, voneinander abgetrennte Bereiche, die nur mit Futterautomaten und Tränken ausgestattet sind. Dort müssen sich die Küken allein und ohne Elterntiere zurechtfinden. Damit sie ausreichend fressen, so früh wie möglich an Körpergewicht zunehmen und um Hungertode zu vermeiden, wird der Stall in den ersten Tagen bis zu 23 Stunden lang hell erleuchtet. Nach etwa einer Woche werden die Aufzuchtringe entfernt und den jungen Puten steht die gesamte Fläche zur Verfügung.

Gemästet werden sowohl männliche als auch weibliche Masttiere (Truthähne/Puter bzw. Truthennen/Puten): nach Geschlechtern getrennt, in großen Hallen ohne Auslauf und mit jeweils mehreren Tausend Tieren pro Gruppe. Das dominierende Mastverfahren ist dabei die sogenannte Langmast (95 % der Putenmast in Deutschland), bei der die weiblichen Tiere nach 15-17 Wochen und die männlichen nach 19-22 Wochen geschlachtet werden. Die seltenere Kurzmast dauert bei beiden Geschlechtern nur 9-12 Wochen – diese Tiere werden meist als sogenannte „Baby-Puten“ vermarktet.

Mit jeder Lebenswoche werden die auf körperliche Höchstleistung gezüchteten Tiere rapide größer: Ist das Platzangebot anfänglich noch verhältnismäßig groß, sind zum Ende der Mastperiode Besatzdichten mit bis zu 52 bzw. 58 kg Lebendgewicht pro m² (je nach Geschlecht) üblich – das entspricht fünf weiblichen oder drei männlichen Tieren pro m².

Im Zuge der intensiven Tierhaltung erfahren Mastputen regelmäßig folgende Schmerzen, Leiden und Schäden, die überwiegend durch die Überzüchtung („Qualzucht“) und mangelhaften Haltungsbedingungen (z. B. eingeschränkter Bewegungsfreiheit) entstehen:

  • Erkrankungen des Skelettsystems (inkl. Beinschwäche)
  • Sohlenballengeschwüre oder Verätzungen an den Ballen
  • Brustverletzungen (Geschwüre und Entzündungen)
  • Erkrankungen des Herz-Kreislauf-Systems
  • Atemwegserkrankungen
  • Verletzungen durch Artgenossen

Die Haltung und der Schutz von Mastputen sind in Deutschland, abgesehen von den allgemeinen Vorgaben im Tierschutzgesetz und in der Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung, nicht speziell gesetzlich geregelt. Puten werden außerdem nicht (wie generell „Nutzgeflügel“) im Tierzuchtgesetz beachtet.

Auf nationaler Ebene wurde lediglich im April 2013 auf Basis einer älteren Eckwertevereinbarung aus dem Jahr 1999 die „Bundeseinheitlichen Eckwerte für eine freiwillige Vereinbarung zur Haltung von Mastputen“ verabschiedet. Es handelt sich um eine freiwillige Selbstverpflichtung der Putenbranche, die auf rein politischer Ebene bisher nur von Niedersachsen per Erlass übernommen wurde.

In der freiwilligen Vereinbarung überwiegen allgemeine Formulierungen. Die Überzüchtung der Hybridlinien und damit zusammenhängende gesundheitliche Folgen für die Tiere werden nicht adressiert. Die Besatzdichten sind nach wie vor viel zu hoch angesetzt. Insgesamt kann sogar von einer deutlichen Verschlechterung im Gegensatz zur früheren Vereinbarung gesprochen werden:

Zuvor war eine Regelbesatzdichte von 45 kg/m² bei Truthennen und 50 kg/m² bei Truthähnen vereinbart. Diese Besatzdichte durfte nur in Ausnahmefällen auf max. 52 bzw. 58 kg/m² gesteigert werden. Jeder Halter, der sich dem neu beschlossenen aber unkonkreten Gesundheitsprogramm anschließt, darf sich an der höheren Besatzdichte orientieren.[xiv]

Im Herbst 2013 machte die Organisation Animal Rights Watch Aufnahmen in den Elterntierhaltungen der Kartzfehn GmbH. Da Puten sich aufgrund der Überzüchtung nicht selbständig fortpflanzen können, wird die Besamung von Putenvermehrern übernommen. Die Bilder zeigen Tiere, die mit den Füßen getreten und durch den Raum geschleudert werden. Einzelne Tiere weisen große Wunden auf, die von Mitarbeitern gesehen, aber nicht sofort behandelt werden:


Quellen:

[i] Zur Geschichte der Hühnerhaltung siehe Manfred Kriener, „Hühner, wollt ihr ewig legen“, in DIE ZEIT 14/2014.

[ii] Siehe z. B. Wiki-Agrar-Lexikon, Stichwort „Masthähnchen“.

[iii] In der sogenannten Kurzmast können Hühner bis zu 35 kg Lebendgewicht pro Quadratmeter Stallbodenfläche gehalten werden, das entspricht in der Endmast bei einem Schlachtgewicht von 1500 g einer Besatzdichte von 23 oder 24 Hühnern pro Quadratmeter. Bei anderen Mastmodellen kann die Besatzdichte auf bis zu 42 kg pro Quadratmeter erhöht werden. Vgl. Maisack, „Tierschutzrecht“, S. 203.

[iv] Vgl. Maisack, „Tierschutzrecht“, S. 220 ff. Das Staubbaden sei wegen der hohen Tierzahl und der dadurch bedingten starken Verkotung und Durchfeuchtung der Einstreu schon ab der Mastmitte erheblich erschwert und gegen Mastende praktisch unmöglich.

[v] Vgl. Maisack, „Tierschutzrecht“, S. 220; Steffen Hoy (Hg.), Nutztierethologie, Stuttgart 2009, S. 222. Viele Hühner sterben bereits während der Mastperiode – zwischen 3 und 5 %; bei einem 20.000-Stall also 600 bis 1000 Hühner je Durchgang.

[vi] Die verschiedenen Betäubungsverfahren bringen verschiedene Nachteile mit sich. In das Elektrowasserbad werden die Tiere getaucht, während sie kopfüber hängen; es kommt vor, dass sie aufgrund von Zappeln gar nicht eintauchen oder dass sie zu geringen Strommengen bekommen, um voll betäubt zu werden. Vgl. „Tierschutz bei der Tötung von Schlachttieren“, Antwort der Bundesregierung auf eine kleine Anfrage von Abgeordneten der Grünen, Deutscher Bundestag, 17. Wahlperiode, Drucksache 17/10021, 15.6.2012.

[vii] Vgl. Hoy, Nutztierethologie, S. 204 und 206 f.

[viii] Es gibt weitere Faktoren, die diese Störung fördern: Hohe Besatzdichte, hohe Lichtintensität, ungünstige Klimaverhältnisse und Mangel an spezifischen Nährstoffen. Vgl. Hoy, Nutztierethologie, S. 220.

[ix] Vgl. Wilfried Brade u.a. (Hg.), Legehuhnzucht und Eiererzeugung. Empfehlungen für die Praxis, Braunschweig 2008, S. 14, 151.

[x] Die Zahlen, die in Medienberichten genannt werden, variieren zwischen 40 und 60 Millionen und sind wahrscheinlich anhand der Zahlen der Legehennen geschätzt, die das Statistische Bundesamt jährlich veröffentlicht.

[xi] Der Text auf dieser Seite ist angelehnt an und teilweise identisch mit dem zuvor veröffentlichten Text von Friederike Schmitz: „Tierethik – Eine Einführung“, in dies. (Hg.): Tierethik, Berlin 2014.

[xii] Albert Schweitzer Stiftung für unsere Mitwelt, M. Pliquett und M. Reinke, Stand 4.8.2016: https://albert-schweitzer-stiftung.de/massentierhaltung/puten

[xiii] taz, 7.2.2009: http://www.taz.de/!5168315/

[xiv] Albert Schweitzer Stiftung für unsere Mitwelt, M. Pliquett und M. Reinke, Stand 4.8.2016: https://albert-schweitzer-stiftung.de/massentierhaltung/puten