Die Tierindustrie bereichert sich durch neokoloniale Ausbeutungsstrukturen. Aber was ist eigentlich Neokolonialismus und wie genau hängt die Tierindustrie damit zusammen?
In den letzten Jahrhunderten dehnten europäische Staaten ihre Herrschaftsmacht aus, indem sie in andere Länder eindrangen und diese gewaltvoll unterwarfen, unter anderem in Afrika, Süd- und Mittelamerika und Asien. Die Gebiete wurden zu sogenannten ,Kolonien’, in denen Menschen entrechtet, beraubt und ausgebeutet wurden, gerechtfertigt durch rassistische Ideologien. Um sich wirtschaftlich zu bereichern wurden darüber hinaus wertvolle Ökosysteme geschädigt – denn die Kolonialmächte waren unter anderem auf Bodenschätze und Rohstoffe aus. Diese gewaltvolle, ausbeuterische Machtausweitung wird als Kolonialismus bezeichnet.
Der Begriff Neokolonialismus wurde nach der formalen Dekolonisation einiger Länder vom ghanaischen Präsidenten Kwame Nkrumah geprägt. „Trotz formaler Souveränität würde das wirtschaftliche und politische System mancher Staaten von außen gesteuert. Unter diesen Bedingungen würden Auslandsinvestitionen nicht zu „Entwicklung“, sondern zu „Ausbeutung“ führen und die Kluft zwischen armen und reichen Ländern vergrößern.“ Im Neokolonialismus haben finanziell mächtige Länder weiterhin Einfluss und Kontrolle über andere Länder – heute oft durch wirtschaftliche Mittel statt mit direkter politischer Herrschaft, z.B. auch durch internationale Wirtschaftsverträge.
Genau mit diesen Macht- und Abhängigkeitsverhält-nissen bereichert sich die Tierindustrie. Denn die riesigen Gewinne der Tierindustrie- und Agrarkonzerne sind nur durch diese neokolonialen Strukturen möglich. Insbesondere in Brasilien und Argentinien, aber auch in anderen Ländern Südamerikas wird Soja als Futtermittel für die hiesige Tierindustrie angebaut und zu uns exportiert, um hier möglichst billig Fleisch und andere tierische Produkte herzustellen. In Deutschland selbst gibt es nämlich gar nicht genug Fläche, um Futtermittel für die zahlreichen Tiere zu produzieren.
Reiche Agrarkonzerne wie Cargill oder Bunge betreiben Landraub (,Landgrabbing’), indem sie große Flächen in Ländern des globalen Südens kaufen. Von den Erträgen profitieren allerdings nur die Konzerne und die reichen Industriestaaten, aus denen diese kommen.
Neben dem Sojaanbau ist auch die Weidewirtschaft eine wichtige Ursache dafür, dass z.B. in Südamerika Wälder abgeholzt und Ökosysteme zerstört werden. Dabei gibt es auch immer wieder Hinweise auf illegale Rodungen. Indigene Bevölkerungsgruppen, die in diesen Gebieten seit Generationen leben, werden entrechtet, vertrieben und bei Widerständen sogar ermordet.
Ohne die importierten Futtermittel aus Brasilien, Argentinien und anderen Ländern, könnten hier deutlich weniger Tiere gehalten, gemästet und getötet werden. Laut eines Forschungsteams der Universität Uppsala müsste die Produktion von Schweinefleisch ohne Sojaimporte um 43% verringert werden, bei Geflügel wären es sogar 58%. Agrar-, Fleisch- und Milchkonzerne wie Tönnies, PHW oder Müller profitieren von diesen Ausbeutungsstrukturen und dem Leid der Menschen.
Neokoloniale Kontinuitäten der Tierindustrie finden sich übrigens auch direkt hier in Deutschland. Denn in den Schlachthöfen der Fleischkonzerne werden überwiegend migrantische Arbeiter*innen beschäftigt, die unter prekären Bedingungen arbeiten und wohnen müssen. Es sind Arbeitsverhältnisse, die auf rassistischen Ideologien fußen und die Not von Menschen ausnutzen. Die ,Notwendigkeit’ neokolonialer Ausbeutungsstruktu-ren fußt vor allem in unserem kapitalistischen System, in dem die Profitmaximierung von Unternehmen die funda-mentale Treibkraft ist. Die Ausbeutung von Ressourcen, Menschen und Tieren wird dabei ignoriert und gezielt gefördert.
Konzerne, die Tiere zu Ware und Menschen zu Humankapital machen, dabei gewaltvoll Lebenswelten zerstören und die Klimakrise befeuern haben für uns keine Daseinsberechtigung.