Eine emanzipatorische Kritik an Labor-Fleisch (In-Vitro-Fleisch, kultiviertes Fleisch oder „Clean Meat“ / „Cultured Meat“)
Zuletzt aktualisiert: 2019
Klar ist: Um den Klimawandel aufzuhalten und damit die wachsende Weltbevölkerung gute Lebenmittel zur Verfügung hat, müssen wir nicht nur die Landwirtschaft, sondern auch unsere Essgewohnheiten ändern.
PR-Expert*innen haben dafür seit längerem einen neuen Trend gesetzt: „Clean Meat“. Gemeint ist damit Fleisch, das nicht von geschlachteten Tieren stammt, sondern in einem Labor durch künstliche Gewebezüchtung erzeugt wird. Auch an Labor-Varianten anderer Tierprodukte wie Milch und Eiern wird derzeit gearbeitet.
Marketing-Abteilungen und Zukunftsforscher*innen überbieten sich mit Versprechungen, welche Probleme Labor-Fleisch lösen wird, sei es der Hunger im globalen Süden, der Klimawandel oder das Leiden der sogenannten Nutztiere. Doch halten die Versprechungen einem Fakten-Check stand? Oder handelt es sich doch nur wieder um einen Versuch der Industrie, Profite zu generieren?
Wie Clean Meat entsteht
Clean Meat basiert auf den Stammzellen eines Tieres. Um das Fleisch im Labor wachsen und gedeihen zu lassen, isolieren die Wissenschaftler*innen Zellen von Nutztieren. Diesen führen sie Sauerstoff und Nährstoffe zu, damit sie sich nachbilden und vermehren. Die Zellen entwickeln sich in einem Bioreaktor zu Fleischfasern und können nach etwa vier bis sechs Wochen „geerntet“ werden.
Geschichte1
Menschliches Gewebe wie Herzklappen, Haut oder Ohrmuscheln werden bereits seit Jahren im Labor gezüchtet – diese Technologie bildet die Grundlage für die Umsetzung von Labor-Fleisch. Die ersten Forschungen zu Clean Meat begannen in den 1990er Jahren in den Niederlanden, 1997 folgte dann das erstes Patent zur Herstellung von Labor-Fleisch. Die öffentliche Demonstration des ersten künstlich hergestellten Burgers erfolgte 2013 in London, stolzer Preis waren damals umgerechnet etwa 250.000 Euro. 2016 wurde das erste Fleischbällchen aus dem Labor präsentiert, und 2017 folgte dann das erste Labor-Geflügelfleisch.
Unternehmen und Investoren
Zur Zeit gibt es einige große Player, die den Markt bestimmen – allesamt junge Startups mit Unterstützung mächtiger Investor*innen:
– Mosa Meat aus den Niederlanden, gegründet 2015. Mosa Meat wird unter anderem von der Merck KGaA (Pharma-Konzern)2 mit 5,5 Millionen Euro und der Bell Food Group (einer der führenden europäischen Fleischhersteller, Marktführer in der Schweiz) unterstützt.3
– Memphis Meats aus den USA, gegründet 2015. Investoren sind unter anderem Cargill (weltweit größter Futtermittelhersteller)4 sowie Tyson Foods (weltweit zweitgrößter Fleischverarbeiter)
– Aleph Farms aus Israel, gegründet 2017. Auch hier investiert Cargill 5 sowie der Konzern M-Industrie (eine Tochter ist Migros, eine der größten Einzelhandelsketten der Schweiz)6
– SuperMeat, ebenfalls aus Israel, gegründet 2015. Der größte deutsche Geflügelkonzern PHW (u.a. Wiesenhof) ist hier seit 2018 Investor.7
Fakten-Check: Weltverbesserungs-Narrativ
Die Unternehmen legen in ihrer Außendarstellung sehr viel Wert auf Nachhaltigkeit und ihren vermeintlichen Beitrag zur Schaffung einer besseren Welt. Nichts deutet jedoch darauf hin, dass den Unternehmen tatsächlich irgendetwas daran gelegen ist. Denn die obige Liste der großen Player zeigt: die Branche ist nahtlos integriert in das globale kapitalistische Wirtschafts- und Produktionssystem. Unter anderem aus Deutschland fließt viel Kapital von den etablierten Tierindustriekonzernen in den Aufbau der Startups.
Eigentlich müssten wir dringend weg kommen von der enorm konzentrierten Lebensmittelproduktion, die mit der Vernichtung der Existenzen von Kleinbäuer*innen auf der ganzen Welt einhergeht. Jedoch zeigen sich bei der Labor-Fleisch-Branche letztlich wieder die etablierten Macht-Mechanismen: große Konzerne aus dem globalen Norden streben danach, industriell und in noch effizienterer Weise Lebensmittel herzustellen und damit weltweit Märkte zu erschließen, um Profite zu machen.
Fakten-Check Wirtschaftlichkeit
Schauen wir uns dennoch das Produkt an. 2013 wurde der erste Labor-Burger präsentiert. Der Preis betrug horrende 250.000 Euro. Für 2021 prognostiziert Mosa Meat einen Preis von neun Euro pro Burger – jedoch nur dann, wenn es zu den angestrebten Durchbrüchen bei der industriellen Herstellung kommt. Denn die Kosten sind aktuell immer noch der große Knackpunkt, diese müssen drastisch gesenkt werden, um die großen Versprechungen zu erfüllen. Mittelfristig wird angestrebt, durch Investition in die Forschung preislich mit in Europa und den USA stark subventionierten Tierprodukten konkurrenzfähig zu werden.8 Enorme Investitionen sind erforderlich für Forschung, Entwicklung und auch Marketing, bis eine Massen-Produktion möglich sein könnte – und selbst dann bleibt abzuwarten, wie wirtschaftlich die Produktion letztlich ist.
Ob dies in den nächsten Jahren zu realisieren ist, ist zumindest zweifelhaft. Der oben genannte Preis von neun Euro würde weiterhin ganz klar ein Luxusprodukt repräsentieren, von dessen Konsum die meisten Menschen ausgeschlossen wären. Die enormen Ressourcen, die zur Entwicklung einer effizienten massenhaften Produktion investiert werden müssten, wären also deutlich sinnvoller für eine sozial-ökologische Transformation eingesetzt.
Fakten-Check Umweltbilanz
Laut Angaben der Unternehmen soll das Fleisch aus dem Labor bis zu 99 Prozent weniger Land sowie Wasser verbrauchen und bis zu 96 Prozent weniger Treibhausgasemissionen als herkömmliches Fleisch verursachen. Dies sind Angaben der Hersteller, also eher mit Vorsicht zu genießen. Demgegenüber stehen wissenschaftliche Einschätzungen, die zum Teil weniger optimistisch sind, was die Umweltauswirkungen angeht. Dass In-vitro-Fleisch potentiell weniger umweltschädlich sein könnte als Tierhaltung, ist zwar nicht so schwer vorstellbar angesichts der enormen Umweltzerstörung, für die die Tierindustrie verantwortlich ist. Jedoch gilt auch hier wieder: es gibt eine sehr lange Tradition ökologischer Pflanzenproduktion, die sich einfügt in die regionalen und saisonalen Besonderheiten von Ökosystemen und die der Umweltzerstörung entgegenwirken kann. Für die Umwelt braucht es daher keine Labor-Fleisch-Fabriken.
Fakten-Check Gesundheit
Laut den Unternehmen soll Labor-Fleisch gesünder sein als konventionelles Fleisch, weil es frei von Antibiotika, Krankheitserregern und anderen Verunreinigungen hergestellt werden kann. Tatsächlich fallen einige gesundheitlich höchst problematische Aspekte der Tierindustrie bei Labor-Fleisch weg. Wie resistent die riesigen Produktionsanlagen, die einigen Unternehmen vorschweben, in der Praxis gegen Erreger sein werden, lässt sich allerdings noch kaum abschätzen.
Dazu kommt: da die Fleisch-Zellen denjenigen gleichen, die in „echten“ Tieren zu finden sind, sind die gesundheitlichen Auswirkungen dieselben. Was also bedeutet: Es besteht bei übermäßigem Konsum ein erhöhtes Risiko für Fettleibigkeit und Herz-Kreislauferkrankungen.9 Auch hier lässt sich also zusammenfassen: es besteht potentiell ein Vorteil gegenüber realem Fleisch, jedoch lassen sich diese Vorteile auch mit deutlich weniger Aufwand mit pflanzlichen Lebensmitteln erreichen.
Fakten-Check Tierausbeutung
Dass durch die Produktion von Labor-Fleisch die Tierausbeutung enorm verringert werden könnte, liegt auf der Hand. Laut einzelnen Forschern würden 200 Rinder für den globalen Rindfleischbedarf ausreichen – aktuell werden dafür 1,5 Milliarden Rinder getötet. Inwiefern das jedoch tatsächlich realistisch ist und praktisch erreicht wird, lässt sich nicht absehen. Denkbar wäre beispielsweise auch, dass Labor-Fleisch lediglich das bestehende Angebot ergänzt oder ein teures Luxusprodukt bleibt. Wobei natürlich null Rinder wegen der menschlichen Ernährung leiden sollten.
In jedem Fall bleibt zu bedenken, dass der Produktions-Prozess regelmäßig auf frisches Muskelgewebe sowie kontinuierlich auf Wachstumsserum angewiesen ist.
Das Wachstumsserum wird in der Regel aus dem Herzen eines Kälber-Embryos gewonnen, wofür Kälbchen und zum Teil auch die Mutter-Kuh geschlachtet werden.9b Einzelne Unternehmen geben an, das Kälberserum durch eine Algen-Nährlösung ersetzt zu haben.10 Ob sich diese Alternative durchsetzt, wird sich ebenfalls erst zeigen müssen.
Das frische Muskelgewebe jedoch muss weiterhin lebenden Tieren entnommen werden, wodurch die Tiere in jedem Fall Stress und Schmerzen ausgesetzt werden. Die Pflanzenproduktion hingegen kommt ohne direktes Tierleid aus – je nach Produktionsweise kommt die Pflanzenproduktion sogar komplett ohne Einsatz tierischer Produkte aus (bio-vegane Landwirtschaft) oder ist gekoppelt mit extensiver Tierhaltung (bspw. biologisch-dynamische Landwirtschaft).
Fazit
Wie wir festgestellt haben, ist Labor-Fleisch konventionellem Fleisch in vielen Aspekten überlegen. Es könnte dazu beitragen, die konventionelle Tierindustrie deutlich zu reduzieren.
Und das Nachfragepotential nach Labor-Fleisch ist laut Marktforschungsstudien ebenfalls vorhanden: eine Studie etwa prognostiziert, dass „bereits 2040 […] nur 40 Prozent der konsumierten Fleischprodukte von Tieren stammen“ werden.11 Sollen es 2005 noch 94 Prozent der Europäer*innen gewesen sein, die Labor-Fleisch äußerst skeptisch gegenüber standen, soll eine Studie von 2018 zeigen, dass 66 Prozent der Befragten bereit wären, es zumindest zu probieren.12
Dabei ist jedoch unklar, ob die Industrie ihre Versprechen wahrmachen kann und das Fleisch dann auch zu einem Preis anbieten kann, der für alle erschwinglich ist. Denn in diesem Markt sind große Profite zu generieren. Ausgerechnet die großen Fleisch-Konzerne wie zum Beispiel die PHW-Gruppe, TysonFoods oder Cargill, die im Sinne der kapitalistischen Logik für Gewinne wortwörtlich über Leichen gehen, haben sich im „Clean Meat“-Markt bereits gut positioniert. Und wo der Markt mit seiner Wachstumslogik im Spiel ist, spielen die Bedürfnisse von Mensch, Tier und Umwelt erwiesenermaßen keinerlei Rolle.
Nicht zuletzt ist es höchst fragwürdig, warum die Probleme mit technischen und marktkonformen Mitteln (vermeintlich) gelöst werden sollen? Gemäß der Maxime „Die freie Marktwirtschaft wird es schon richten.“ Wie wir, und viele andere, aber tagtäglich schmerzhaft feststellen müssen, ist dies auch in anderen Bereichen nicht der Fall. Grundlegende Veränderungen können nicht innerhalb des kapitalistischen Systems vorgenommen werden, dies würde den Grundprinzipien des Systems widersprechen. Dass die Unternehmen versuchen, in jede vermeintliche Lücke reinzustoßen, um neue Märkte zu erschließen und den Geldfluss nicht versiegen zu lassen, ist klar.
Die Diskussion über Labor-Fleisch als die vermeintlich einfache Lösung lenkt das Augenmerk zudem von den insgesamt komplexen weltweiten Problemen durch die Tierindustrie ab, die unter anderem mit Tierleid, der Ausbeutung der Arbeiter*innen und der Klimakrise einher geht.
Was unserer Meinung nach vielmehr nötig wäre, ist eine grundlegende Agrarwende und ein umfassender Systemwandel hin zu einer solidarischen und ökologischen Produktions- und Organisationsweise.
Quellen
[1: https://www.boell.de/de/2018/01/10/laborfleisch-biologen-zeigen-ihre-muskeln ]
[4: https://www.agrarheute.com/management/agribusiness/cargill-investiert-millionen-labor-fleisch-537709 ]
[8: https://www.heise.de/tp/features/Ist-Laborfleisch-das-neue-Gemuese-fuer-Unbelehrbare-3418163.html ]
[9b: https://taz.de/!642110/]
[10: https://www1.wdr.de/mediathek/video/sendungen/quarks-und-co/video-fleisch-aus-dem-labor-104.html ]
[12: https://faunalytics.org/wp-content/uploads/2018/11/Clean-Meat-Acceptance-Primary-Findings.pdf ]