Entnommen von Tierfabriken Widerstand.
Schweine kommen innerhalb der industriellen Produktion in einem so genannten »Abferkelstall« zur Welt. Dort werden sie von speziellen „Zuchtsauen“ zur Welt gebracht. Die Befruchtung dieser Sauen findet in einem „Besamungsstand“, in einem etwa körpergroßen Käfig, statt. Darin fixiert, wird die Sau meist künstlich, das heißt über einen in ihre Vagina eingeführten Kunststoffschlauch besamt. In dem Kastenstand, in dem sich umzudrehen unmöglich ist, bleibt sie mindestens vier Wochen lang. Nach knapp vier Monaten steht die Geburt an; eine Woche vorher kommt die Sau in eine „Abferkelbucht“, die so eng ist, dass die Sau nur auf einer Seite liegen und sich nicht umdrehen kann.[i] Sie gebiert ihre Ferkel, die dann durch die Stäbe der Abferkelbucht an ihren Zitzen saugen. Vier Wochen später kommt sie wieder in Kastenstand und wird dort erneut besamt.
In Folge der wochenlangen Fixierung in Kastenstand und Abferkelbucht entwickeln die Sauen Verhaltensstörungen wie Stereotypien (Stangenbeißen und Leerkauen) und darüber hinaus in vielen Fällen schmerzhafte Krankheiten und körperliche Schäden.[ii]
Die männlichen Ferkel werden im Alter von wenigen Tagen kastriert: Während jemand sie festhält oder sie in einem dafür konstruierten Gestell eingespannt sind, wird ihnen ohne Betäubung der Hodensack auf- und der darin liegende Hoden abgeschnitten.[iii] Weitere übliche Eingriffe für alle Ferkel in den ersten Lebenswochen sind das Abschleifen der Zähne und das Abschneiden des Ringelschwanzes. Dies soll der Verhaltensstörung des Schwanzbeißens vorbeugen, die später in den Mastanlagen aufgrund von Enge und Beschäftigungslosigkeit zu gegenseitigen Verletzungen führt.[iv]
Schweine sind sehr soziale, intelligente und neugierige Tiere. Sie sind in diesen Hinsichten mit Hunden zu vergleichen. Studien belegen, dass Hausschweine, wenn sie die Gelegenheit dazu haben, ganz ähnliche Verhaltensweisen wie ihre Vorfahren, die Wildschweine, zeigen.[v] In den Mastanlagen können allerdings solche arttypischen Verhaltensweisen wie Nahrungssuche, Wühlen im Boden, Kratzen und Scheuern an Bäumen nicht ausgeübt; Neugier sowie soziale und emotionale Bedürfnisse auch nicht annähernd befriedigt werden. Die Schweine leben stattdessen dicht gedrängt auf einstreulosen Vollspaltenböden.[vi]
In konventionellen Mastanlagen kommen jedem Tier bis zu 110
Kilo 0,75 Quadratmeter zu. Eine Trennung von Kot- und Liegeplatz ist unmöglich,
so dass die Tiere über ihren eigenen Exkrementen stehen und ruhen. Viele
Schweine leiden nach den wenigen Lebensmonaten bis zur Schlachtung daher unter
Husten und Lungenschäden. Hinzu kommen verschiedene Entzündungen und weitere
Krankheiten, die auf die Mastbedingungen in der Intensivtierhaltung
zurückgehen.[vii]
Schmerzhafte Quetschungen, Schürfungen und Wunden im Klauenbereich sind häufig;
zwei Drittel aller konventionell gehaltenen Schweine weisen Hautschäden auf.[viii] Nach etwa sechs Monaten
werden die Schweine zum Schlachthof gebracht, wo sie erst betäubt und dann per
Schnitt durch die Halsschlagader entblutet werden. Mehreren hunderttausend
Schweinen jährlich werden allerdings nicht richtig „abgestochen“, so dass sie
im 62 Grad heißen Brühbad wieder erwachen, wo sie dann qualvoll ertrinken.[ix] [x]
[i] Diese Regelungen gelten aufgrund von EU-Richtlinien seit dem 1.1.2013. Vgl. zu diesen Haltungsformen auch Christoph Maisack, »Tierschutzrecht“, in Herwig Grimm und Carola Otterstedt (Hg.), Das Tier an sich. Disziplinenübergreifende Perspektiven für neue Wege im wissenschaftsbasierten Tierschutz, Göttingen 2012, S. 198-234, hier S. 202; siehe außerdem Hilal Sezgin, „Fleischeslust ist Fleischeslast. Zum Zusammenhang der Ausbeutung von Frau und Sau“
[ii] 15-20 % der fixierten Sauen leiden unter schmerzhaften Harnwegsentzündungen, 20-50 % unter Gebärmutter- und Gesäugeentzündungen, hinzu kommen schmerzhafte Bein- und Klauenschäden; durch das Liegen in der Abferkelbucht kommt es unter anderem häufig zu Schulterläsionen. (Vgl. Maisack, „Tierschutzrecht“, S. 218; Dirk Schäffer, „Erfassung von Schulterläsionen bei Zuchtsauen in verschiedenen Abferkelbuchten“, in: Deutsche Veterinärmedizinische Gesellschaft e. V., Tagung der DVG-Fachgruppe „Tierschutz“, Gießen 2012, S. 60-73.) Zum Stangenbeißen und Leerkauen bei Muttersauen vgl. Hoy, Nutztierethologie, S. 139. Beim Leerkauen sitzen die Sauen im Kastenstand und kauen unentwegt, bis ein Schaum entsteht. „Es wird davon ausgegangen, dass dabei endogene Opioide erzeugt werden, die die Tiere in eine Art Trancezustand versetzen, um als Coping-Strategie diese Situation zu bewältigen.“
[iii] Siehe zum Beispiel Christina Hucklenbroich, „Der Schmerz der Schweine“, in DIE ZEIT, Nr. 34, 16.08.2007.
[iv] Vgl. Hoy, Nutztierethologie, S. 137.
[v] „Es gibt keine qualitativen Unterschiede im Verhalten von Haus- und Wildschweinen (…). Der tägliche Verhaltensablauf zeigt viele Standortwechsel, einen hohen Anteil Futtersuche und Futteraufnahme und dazwischen liegende Ruhephasen.“ (Hoy, Nutztierethologie, S. 105) Vgl. auch die Darstellung der Schweine auf dem Lebenshof „Butenland“ von Hilal Sezgin in Artgerecht ist nur die Freiheit, Kap. 4.
[vi] Über 90 % der Mastschweineställe in Deutschland werden einstreulos betrieben. Vgl. Hoy, Nutztierethologie, S. 131.
[vii] Vgl. auch Hilal Sezgin: „Saumäßig krank“, in: Süddeutsche Zeitung (14.8.2013).
[viii] Vgl. Maisack, „Tierschutzrecht“, S. 216.
[ix] Vgl. Die Bundesregierung, „Tierschutz bei der Tötung von Schlachttieren“, darin heißt es: „Wissenschaftlichen Untersuchungen zufolge zeigten durchschnittlich 0,1 bis 1 Prozent der Tiere, abhängig von Betäubungsverfahren und Personal, auf der Nachentblutestrecke unmittelbar vor der Brühung noch Reaktionen, welche auf Empfindungs- und Wahrnehmungsvermögen hindeuten.“ (S. 6)
[x] Der Text auf dieser Seite ist angelehnt an und teilweise identisch mit dem zuvor veröffentlichten Text von Friederike Schmitz: „Tierethik – Eine Einführung“, in dies. (Hg.): Tierethik, Berlin 2014.