Auch international weiterhin Corona-Ausbrüche in der Tierindustrie

Nicht nur in Deutschland bewahrheiten sich die schlimmen Befürchtungen von Arbeitsrechtsinitiativen vor Corona-Ausbrüchen bei Arbeiter*innen in der Tierindustrie: auch international mehren sich Berichte über stark steigende Infektionszahlen in Schlachtbetrieben.

Nachdem es in Großbritannien zu hohen Infektionszahlen und sogar einem Tod gekommen ist, fordern dort Gewerkschaften sofortige Schutzmaßnahmen für die Arbeiter*innen.

Auch in Brasilien ist die Tierindustrie von Corona deutlich betroffen: während die gesicherten Infektionszahlen aufgrund der vergleichsweise geringen Testzahl noch niedrig ausfällt, kommt es zu ersten Produktionsschwierigkeiten. Der größte Geflügelverarbeitungs-Konzern des Landes, BRF, meldet etwa, dass vermehrt Arbeiter*innen aufgrund mangelnder Schutzmaßnahmen streiken und Gesundheitsbehörden Schließungsauflagen androhen.

In Kanada wurden alleine in einem einzigen Fleischverarbeitungsbetrieb von Cargill knapp 1.000 Fälle festgestellt. Unter anderem auch in Australien und Spanien wurden Corona-Fälle in der Fleischindustrie gemeldet.

Nicht zuletzt weist die Fleischindustrie in den USA enorme Folgen durch Corona aus: dort erkankten bereits mehr als 10.000 Arbeiter*innen an dem Virus, mindestens zwanzig erlagen ihrer Erkrankung.

Quellen und weitere Infos:

14.05.2020, GlobalMeatNews.com: German slaughterhouses under fire over ‚insufficient precautionary measures‘ to block COVID-19 spread

11.05.2020, The Guardian online: ‚Chaotic and crazy‘: meat plants around the world struggle with virus outbreaks

EU diskutiert über weitere Millionen für die Tierindustrie

Nachdem die EU bereits im April ein Corona-Förderpaket für die Tierindustrie auf den Weg gebracht hatte, fordern nun einige Mitgliedsstaaten weitere Gelder. War das erste Förderpaket noch auf Milch- und bestimmte Fleischprodukte (Rind-, Lamm und Ziegenfleisch) beschränkt, soll nun auch der Markt für Schweine-, Kalb- und Geflügelfleisch durch Zuschüsse für die private Lagerhaltung unterstützt werden.

Im Hintergrund wird also bereits über weitere Millionen für die Konzerne gefeilscht, während sich gerade eine breite gesellschaftliche Debatte über die miserablen Bedingungen der Arbeiter*innen in der Tierindustrie entzündet. Was jetzt anstelle von Marktstützungen erforderlich wäre, sind Sofortmaßnahmen zum Schutz der Arbeiter*innen und Gelder für einen Strukturwandel weg von der Tierindustrie.

Quelle und weitere Infos:

14.05.2020, agrarheute.com: Wojciechowski will Krisenreserve von Direktzahlungen entkoppeln

Corona-Ausbruch bei Großschlachterei von Wiesenhof in Bogen (Bayern) – Kritik von Opposition und Gewerkschaften

Nach den Corona-Ausbrüchen bei Schlachthöfen und Fleischverarbeitungsanlagen bei Müller Fleisch, Vion, Westfleisch und drei weiteren Unternehmen sind auch bei Geflügelfleischkonzern Wiesenhof (PHW-Gruppe) zahlreiche Mitarbeiter*innen mit dem Coronavirus infiziert. 16 bestätigte Fälle gibt es mittlerweile unter den Angestellten der Großschlachterei in Bogen (Niederbayern). Ergebnisse einer am Dienstag veranlassten Massentestung der 1.000 Beschäftigten am Standort stehen allerdings noch aus.

Noch am Samstag (09.05.2020) erklärte das bayerische Gesundheitsministerium gegenüber BR24, keine Veranlassung für Corona-Tests bei Mitarbeiter*innen von Schlachthöfen zu sehen. Ein Sprecher erklärte zu diesem Zeitpunkt, Tests seien derzeit nicht erforderlich, in Bayern habe es in Schlachthöfen keine „Ausbruchssituation“ gegeben. Kritik am Vorgehen kam von der SPD-geführten Landtagsopposition. Mittlerweile hat Ministerin Huml (CSU) allerdings entschieden, alle Mitarbeiter*innen an Schlachthöfen im gesamten Bundesland zu testen.

Die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) nahm ebenfalls Stellung zur Ausbruch in Bogen und kritisiert das erhöhte Infektionsrisiko durch die Unterbringung von Werkvertragsbeschäftigen in Gemeinschaftsunterkünften sowie die prekäre Anstellung der Arbeiter*innen bei Subunternehmen.

Quellen und weitere Informationen:

14.05.2020: Mastanlagen-Widerstand: Corona bei Wiesenhof in Straubing-Bogen

14.05.2020: Passauer Neue Presse: Gesundheitsministerin Huml: Massentest an allen Schlachthöfen in Bayern

13.05.2020: Bayerischer Rundfunk (BR24): Reihentestung von Schlachthof-Mitarbeitern in Bogen beendet

13.05.2020: Bogener Zeitung (idowa.de): 16 bestätigte Fälle von Sars-CoV2 bei Wiesenhof

09.05.2020: Bayerischer Rundfunk (BR24) Keine gesonderten Corona-Kontrollen in Bayerischen Schlachthöfen

Foto: Protest des Aktionsbündnisses Mastanlagen Widerstand am Schlachthof Bogen im März 2013 (Quelle: Mastanlagen Widerstand)

Pressemitteilung von aktion./.arbeitsunrecht zu den Arbeitsbedingungen in der Fleischindustrie

Die Arbeitsrechtsinitiative aktion ./. arbeitsunrecht hat eine Pressemitteilung zu den Arbeitsbedingungen in der Fleischindustrie veröffentlicht:

Verdacht auf Schein-Werkverträge + Mietwucher: Was unternehmen Staatsanwaltschaften, Hauptzollamt und Arbeitsministerien?

[…] Im Zuge der Coronakrise berichten die Medien wieder verstärkt unschöne Tatsachen. Der rechtliche Kern des Ausbeutungsgeschäftes sind die sog. Werkverträge zwischen Schlachthofbetreibern und sog. Werkunternehmern sind, die ihrerseits die mehrheitlich aus Rumänien und Bulgarien stammenden Arbeiter unter Vertrag nehmen.

Dabei wird die Ausbeutung über Werkverträge zwar regelmäßig kritisiert – aber nicht ausreichend in Frage gestellt. Die rechtliche Grundlage der Werkvertragsregelungen ist mehr als wackelig.

Schein-Werkverträge: Organisierte Täuschung der Behörden durch illegale Arbeitnehmerüberlassung?

Alles spricht nach unseren Recherchen dafür, dass es sich in der Realität gar nicht um Werkverträge handelt sondern der Sache nach um Arbeitnehmerüberlassungsverträge (also verdeckte Leiharbeit bzw. Schein-Werkverträge). Das hätte weitreichende Auswirkungen, da nach unserer Kenntnis keiner der Werkunternehmer die Erlaubnis zur Arbeitnehmerüberlassung hat. Wir hätten es hier also mit einem kriminellen System zu tun, das sowohl die Arbeiter schädigt als auch — über Hinterziehung von Sozialabgaben und Steuern — das Gemeinwesen. […]

Quelle:

12.05.2020, Pressemitteilung von aktion ./. arbeitsunrecht: Zustände in der Fleischindustrie: Werkverträge oder illegale Arbeitnehmerüberlassung?

Weitere Informationen:

Die aktion./.arbeitsunrecht ist eine Arbeitsrechtsinitiative, die sich für Beschäftigte im Einzelhandel, der Lebensmittelindustrie und vielen weiteren Bereichen einsetzt. Sie informiert über betriebsratsfeindliche Unternehmen, unterstützt Betriebsräte und Gewerkschafter*innen und rief 2019 auch zu einem Aktionstag gegen den Fleischkonzern Tönnies auf. Weitere Infos gibt es unter: www.aktion.arbeitsunrecht.de

Corona-Erholungsprogramm des NABU für Mensch, Tier und Umwelt

Vor einigen Tagen veröffentlichte der NABU ein „Corona-Erholungsprogramm“, in dem er auf einen nachhaltigen Wandel in der Wirtschaft pocht und Forderungen entwirft, die die Welt nach Überwindung der Pandemie sicherer, grüner und gesünder werden lassen sollen. Unter anderem werden agrarpolitische Maßnahmen vorgeschlagen, eine explizite Thematisierung der für Mensch, Tier und Umwelt verheerenden Tierindustrie erfolgt allerdings nicht.

05.05.2020, NABU: Kein Weiter So und Kein Zurück

05.05.2020, presseportal.de: NABU Forderungen an ein Corona-Erholungsprogramm

Krise? Welche Krise? – Wie Fleischkonzerne und Branchenverbände auf Corona-Ausbrüche und die Kritik an den Arbeitsbedingungen reagieren.

In der Debatte um die Corona-Ausbrüche in Schlachthöfen und die Arbeitsbedingungen von Werkvertragsarbeiter*innen setzen führende Konzerne und Branchenverbände der Fleischindustrie auf Konfrontation. Nach Hunderten Infizierten Mitarbeiter*innen an mittlerweile 6 Standorten werfen Medien, Initiativen und Gewerkschaften den Schlacht- und Fleischverarbeitungsbetrieben fehlenden Gesundheitsschutz in der Corona-Krise und unzureichende Arbeits- und Lebensbedingungen der meist ausländischen Beschäftigten mit Werk- und Leihverträgen vor.

Fleischkonzerne wehren sich gegen Schließungen

Die betroffenen Konzerne selbst sehen trotz der heftigen Ausbrüche keine Veranlassung ihre Betriebe zu schließen und wollen trotz des offenbar erhöhten Infektionsrisikos wie gehabt weiter produzieren. Müller Fleisch (300 positiv getestete Beschäftigte) stellte nach dem Bekanntwerden des Ausbruchs die Produktion nicht ein, die Arbeiter*innen hätten allerdings alle Kontakte außerhalb ihres Arbeitsumfeld abzubrechen und dürften auf dem Weg in ihre Unterkünfte keine Umwege machen.

Vion ließ den Betrieb in Bad Bramstedt (130 Infizierte) zwar kurzfristig ruhen, drohte dem Landkreis Steinburg nun aber mit einer Klage, falls der Schlachthof nicht bald wieder öffnen dürfe, schließlich gäbe es negativ getestete Arbeiter*innen, die den Betrieb aufrecht erhalten könnten.

Auch Westfleisch (250 Fälle an zwei Standorten) sah keinen Grund, den besonders betroffenen Schlachthof Coesfeld zu schließen. Es bedurfte erst einer Eilverfügung des Landkreises und der Landesregierung. Westfleisch klagte daraufhin gegen die Verfügung, die mittlerweile vom Verwaltungsgericht Münster bestätigt wurde. Westfleisch sei „zu einer erheblichen epidemiologischen Gefahrenquelle nicht nur für die eigene Belegschaft geworden“, so das Gericht.

Branchenriesen und Verbände sprechen von Generalverdacht

Die Mitgliedsorganisationen des Deutschen Bauernverbands kritisierten die Schließungen unter anderem in Coesfeld. „Für die rund 1.000 Schweinemäster aus Westfalen-Lippe, die das Werk belieferten, sei das Aufrechterhalten des Schlachtbetriebes enorm wichtig“, kommentierte Hubertus Beringmeier, Vorsitzender des Landwirtschaftsverbands Westfalen-Lippe. Das Landvolk Niedersachsen argumentierte mit Blick auf mögliche Tests bei den Saisonkräften, dass diese „eine Scheinsicherheit suggerieren“ könnten und forderte, die Schlachthöfe schnellstmöglich wieder zu öffnen.

Branchenprimus Tönnies kritisierte das Vorgehen der Behörden und die öffentliche Debatte scharf und sprach von einem „Generalverdacht“ gegen die Fleischindustrie. Zur Frage des Infektionsschutzes meinte der Fleischkonzern lapidar, dass wie in Krankenhäusern oder Pflegeheimen „ein Restrisiko“ bleibe.

Ähnlich äußerte sich auch der Verband der deutschen Fleischwirtschaft (VDF): “Als kritische Infrastruktur habe man die Produktion nicht stoppen können und weiter gearbeitet, um die Versorgung mit Nahrungsmitteln sicherzustellen. So könne es zu Ansteckungen kommen.“

Arbeits- und Lebensbedingungen der Werkvertragsarbeiter*innen kein Thema

In Bezug auf die Arbeitsbedingungen nehmen die Unternehmen und Verbände der Fleischindustrie dagegen kaum Stellung. Der Fleischerverband Niedersachen/Bremen der mittelständische Betriebe mahnte zwar „den Missbrauch von Werkverträgen zu unterbinden“, die Geschäftsführerin des VDF, Heike Harstick, sieht dagegen nicht einmal ein Problem in der Behandlung der Werkvertragsarbeiter*innen und stellt fest, dass „nicht vor allem die Arbeitsbedingungen schuld an den Corona-Ausbrüchen“ seien.

Für Stefan Müller, Geschäftsführer von Müller Fleisch, sind die Arbeits- und Lebensbedingungen der prekär Beschäftigten aus dem ost- und südosteuropäischen Ausland ebenfalls kein Thema. Die Verantwortung für Corona-Ausbrüche sieht er bei den Beschäftigten selbst: Die Rumänen seien halt ein geselliges Volk, es werde viel gefeiert.

Weitere Informationen zum Thema auf dem Watchblog Tierindustrie

Quellen und weitere Informationen:

Bild: Protest von Peter Kossen vor Westfleisch-Schlachthof in Coesfeld am 10.05.2020 (Quelle: Bistum Münster)

Corona-Ausbruch in Bochumer Schlachthof

Nun wurden auch Corona-Fälle im Schlachthof der Bochumer Fleischhandel GmbH publik: in einer gemeinsame Untersuchung des Bochumer Ordnungsamtes, der Bezirksregierung und des Gesundheitsamtes wurden der Schlachthof sowie die Gemeinschaftsunterkünfte der Arbeiter*innen untersucht. Es wurden mindestens 25 Arbeiter*innen positiv auf Corona getestet, des Weiteren wurden gravierende Mängel bei den Unterkünften festgestellt.

11.05.2020, Neue Rhein/Neue Ruhr Zeitung (NRZ) online:

Schlachthof Bochum: Infizierten-Zahl steigt auf 25 Arbeiter

(Bildquelle: Animal Rights Watch e.V. – ARIWA)

Corona: Landwirtschaftsminister*innen der Länder fordern Konjunkturmaßnahmen

Bei der Agrarministerkonferenz (AMK) in Saarbrücken letzte Woche haben sich die Landwirtschaftsminister*innen der Bundesländer für Konjunkturmaßnahmen für Land-, Forst- und Ernährungswirtschaft sowie die Fischerei ausgesprochen. Konkrete Vorhaben wurden nicht verkündet, allerdings wird die Tierindustrie-Lobby mit entsprechenden Forderungen nicht lange auf sich warten lassen…

11.05.2020, agrarheute.com: Agrarministerkonferenz: Länder fordern Corona-Konjunkturprogramm für die Landwirtschaft

Prognose für USA: Notschlachtung von bis zu 7 Millionen Schweine im zweiten Quartal

Die US-amerikanische Agrarbank CoBank hat eine Prognose bezüglich der weiteren Auswirkungen der Corona-Krise auf den US-Fleischmarkt veröffentlicht. Demnach könnten Betriebe im zweiten Quartal (April, Mai, Juni) bis zu 7 Millionen Schweine notschlachten, was zu Verlusten von bis zu 700 Millionen Dollar führen könnte.

06.05.2020, GlobalMeatNews.com:

US meat supply under threat from coronavirus

(Bildquelle: Animal Rights Watch e.V. – ARIWA)

Nach Corona-Ausbrüchen: Ausbeutung von Werkvertragsarbeiter*innen unter heftiger Kritik

Mehrere Hundert Beschäftigte mit Werkverträgen, meist rumänische Arbeiter*innen, haben sich in den letzten Wochen mit dem Coronavirus infiziert. Die Fleischindustrie ist zum Hotspot der Coronainfektionen in Deutschland geworden. Völlig zurecht steht das Geschäftsmodell von Unternehmen wie Wiesenhof, Tönnies, Westfleisch, VION oder Müller Fleisch in der Kritik. Denn der Großteil der Beschäftigten ist bei Subunternehmern angestellt. Gezahlt wird ein Mindestlohn für Akkordarbeit bei 12-Stunden-Schichten. Die Vertragsfirmen der Schlachtkonzerne machen sich Grauzonen des Arbeitsrechts zunutze und ziehen den Beschäftigten Pauschalen für Arbeitskleidung oder die Unterbringung in beengten Sammelunterkünften ab. Die großen Fleischkonzerne entledigen sich über das Subunternehmertum ihrer Verantwortung für die miserablen Arbeitsbedingungen der Kolleg*innen und den fehlenden Infektions- und Gesundheitsschutz.

Wir dokumentieren an dieser Stelle ausgewählte Beiträge zur aktuellen Debatte:

Bild: Protest von Peter Kossen vor Westfleisch-Schlachthof in Coesfeld am 10.05.2020 (Quelle: Bistum Münster)