„Wahre Preise“ bei Penny – Gute Idee oder Greenwashing?

Noch bis 05.08. macht Penny auf die versteckten Umweltkosten von Lebensmitteln aufmerksam und erhöht dafür die Preise von neun ausgewählten Produkten. Käse und Wurst sind auf einmal fast doppelt so teuer. Der Preis eines veganen Schnitzels erhöht sich hingegen nur minimal. Pennys Fazit: Darum besser Bio und vegan, denn solche Produkte sind schonender für die Umwelt. So weit, so alt-bekannt. Blöd nur, dass es sich nur um eine Marketing-Masche handelt und ab dem 05.08. alles wieder beim Alten ist. Die Verantwortung und die Kosten für die Klimakrise werden weiter auf Andere abgewälzt. Das Ernährungssystem verantwortet ein Viertel bis ein Drittel aller Treibhausgase. Das kann aber den Lebensmitteleinzelhandel nicht erschüttern, der in den letzten Jahren der multiplen Krisen Rekordgewinne gemacht hat und sogar während der aktuellen Inflation noch kräftig profitiert. Mitarbeiter*innen, Landwirt*innen und Landarbeiter*innen haben von diesem Geld natürlich nichts gesehen. Komplett ironisch finden wir übrigens, dass Penny die Mehreinnahmen gemeinsam mit der „Molkerei Berchtesgadener Land“ an diverse tierhaltende Unternehmen spendet, um eine klimafreundlichere Landwirtschaft zu fördern … Wie wäre es statt Greenwashing mit dem kompletten Auslisten klimaschädlicher Produkte und einer fairen Preispolitik für Landwirt*innen, insbesondere solche, die pflanzlich produzieren?

Tönnies übernimmt größten Fleischproduzentren Brandenburgs – und hebelt umgehend Rechte von Arbeitnehmer:innen aus

Die Schweinefleischindustrie steht unter Druck. Aufgrund des sinkenden Schweinefleischkonsums und Rückgängen des Exportgeschäfts geraten nicht nur Mast- und Zuchtbetriebe sondern auch Fleischproduzenten zunehmend in finanzielle Schwierigkeiten. Deutschlands größter Fleischkonzern nutzt die Situation, um Konkurrenzbetriebe aufzukaufen und seine Marktmacht weiter auszubauen.

Im April kündigte die zum Tönnies-Konzern gehörende Zur-Mühle-Gruppe an, die Eberswalder Wurst GmbH zu übernehmen. Das finanziell angeschlagene Unternehmen ist größter Fleischwarenhersteller Brandenburgs mit einem Umsatz von 120 Mio. Euro pro Jahr. Mehr als 300 Millionen Würstchen werden im Werk in der Nähe von Eberswalde jährlich produziert. Bei etwa der Hälfte der rund 550 Beschäftigten handelt es sich um prekär beschäftige Saisonarbeiter:innen.

Die Gewerkschaft NGG kritisierte die Übernahme: Tönnies sei dafür bekannt, Tarifverträge auszuhebeln und Betriebsräte zu verhindern, so NGG-Sprecher Uwe Ledwig im RBB. Tatsächlich hat Tönnies den Betrieb mit der Übernahme in eine neue Gesellschaft überführt. Der Fleischkonzern nutzt damit rechtliche Möglichkeiten gnadenlos aus, um Beschäftigten den Anspruch auf Sozialpläne bei betriebsbedingten Veränderungen wie z.B. Personalabbau zu verwehren. Vier Jahre lang können Arbeiter:innen ohne Abfindungen entlassen werden, angesichts der gegenwärtigen ökonomischen Lage der Fleischwirtschaft ein mehr als wahrscheinliches Szenario.

Es besteht kein Zweifel: Auch am Standort Eberswalde setzt Tönnies auf seine Strategie prekäre und ausbeuterische Beschäftigungsverhältnisse und ein gewerkschaftsfeindliches Arbeitsregime durchzusetzen. Statt weiterer Expansion und immer stärker werdender Marktmacht fordern wir die Zerschlagung, Enteignung und Vergesellschaftung des Tönnies-Konzerns und die Umstellung auf eine ökologische, soziale und pflanzenbasierte Produktion. Und zwar sofort!

Weitere Infos:

RBB-Bericht: https://www.rbb24.de/studiofrankfurt/beitraege/2023/06/eberswalder-wurst-unternehmen-nach-dem-verkauf.html

Der nächste Skandal: Tönnies bezieht Rindfleisch aus illegal gerodeten Regenwaldflächen

Allen Lippenbekenntnissen zum Trotz: Eine neue Recherche zeigt, Tönnies und gut ein Dutzend weiterer deutscher Unternehmen beziehen tonnenweise Fleisch von Rinderfarmen, die auf illegal gerodeten Regenwaldflächen errichtet werden. Spiegel Online berichtet in einer ausführlichen Reportage.

Demnach wurden allein 2022 insgesamt 190 Tonnen Rindfleisch aus Abholzungsgebieten nach Hamburg geliefert, um über den Tönnies Konzern in Supermarktketten wie Aldi und Lidl vertrieben oder weiter exportiert zu werden. Zudem wurden weitere 470 Tonnen in diesem Jahr nach Italien verschifft, um ein dortiges Tönnies-Werk zu beliefern. Sprecher des größten deutschen Fleischkonzerns streiten die Lieferungen nicht ab, sprechen aber von „Einzelfällen“.

Die Spiegelreportage beruft sich auf eine Studie des Dom and Bruno Projects, einem internationalen Recherchenetzwerk, das nach den am 5. Juni 2022 ermordeten Investigativ-Journalisten Bruno Pereira und Dom Philipps benannt ist. Die Studie zeigt, wie Rindfleisch aus illegal errichteten Rinderfarmen auf den europäischen Markt gelangt. Fleisch aus Farmen, die wegen illegaler Abholzungspraxis sanktioniert wurden, wird über zertifizierte Farmen und Schlachthöfe „reingewaschen“ und ins europäische Ausland exportiert.

Die Abholzung von Regenwäldern für die Errichtung von Rinderfarmen und den Futtermittelanbau steht bereits seit Jahren aufgrund der Vertreibung der indigenen Bevölkerungen und den klimaschädlichen Auswirkungen der Rodungen und der Rinderhaltung in der Kritik.

Die Fleischkonzerne tragen damit eine direkte Verantwortung für diese ausbeuterischen Verhältnisse und die immense Naturzerstörung in Brasilien.


Quellen und weitere Infos:

Spiegel-Online: „Wie Rindfleisch aus abgeholzten Regenwaldflächen in Europa landet“ (Paywall):

Radio Gütersloh: „Rindfleisch-Importe aus geholztem Regenwald – Tönnies offenbar dabei“

Forbidden Stories / The Bruno and Dom Projekt: „The Amazon Cut: How beef linked to deforestation is exported to europe by major companies“ (englisch):

Wikipedia: „Murder of Bruno Pereira and Dom Phillips“ (englisch)

Solidarität mit den Arbeitskämpfen in der Fleischindustrie

Nach der Blockade der Fleischkonzerne in den Tarifverhandlungen ruft die Gewerkschaft NGG zu Streiks auf!

„Arbeitgeber, die Jahr für Jahr Millionen-Umsätze einfahren, bezeichnen 10,50 Euro pro Stunde als ihre Schmerzgrenze. Für diejenigen, die weiter mit solch einem Armutslohn klarkommen sollen, ist das der pure Hohn.“ Mehrere Wochen verhandelte die Gewerkschaft NGG (Nahrung-Genuss-Gaststätten) mit den Arbeitgeberverbänden der Fleischindustrie. Am Abend des 29.3. ist klar, die Verhandlungen scheitern an der Blockadehaltung der Fleischkonzerne. Die Quittung, so Freddy Adjan, stellvertretender Geschäftsführer der NGG in einer Presseaussendung, gäbe es in den nächsten Wochen: „Wir werden nun die Beschäftigten zu Streiks aufrufen.“

Blockadehaltung der Fleischkonzerne

Ausgelöst durch die Corona-Ausbrüche in den Schlachthöfen und Fleischfabriken entfachte sich im vergangenen Jahr eine Protestwelle gegen die unzumutbaren Arbeits- und Lebensbedingungen der überwiegend osteuropäischen Beschäftigten in der Fleischindustrie. Ende des Jahres verabschiedete der Bundestag das Arbeitsschutzkontrollgesetz. Werkverträge sollten in den Kernbereichen der Schlachtung, Fleischverarbeitung und Verpackung verboten werden. Die Fleischkonzerne mussten daraufhin mehrere Zehntausend Beschäftigte, die zuvor über Subunternehmen beschäftigt waren, direkt einstellen. Weitergehende Maßnahmen wie das Verbot von der Leiharbeit oder stärkere Kontrollen des Arbeitsschutzes scheiterten am Widerstand der Fleischlobby und der CDU/CSU-Fraktion.

Die Blockadehaltung der Verbände und Fleischkonzerne dürfte daher wenig überraschen. Gerade einmal 10,50 Euro Mindestlohn pro Stunde waren Tönnies, PHW-Wiesenhof, Vion & Co. bereit zu zahlen. Die Gewerkschaft NGG forderte 12,50 Euro Einstiegslohn, der sich nach der Einarbeitung auf 14,00 Euro erhöhen sollte. Zudem sollten über einen allgemeinverbindlichen Tarifvertrag Mindestarbeitsbedingungen wie Arbeitszeit, Arbeitszeitkonten, Zuschläge und Urlaub für die rund 160.000 Beschäftigten in der Branche geregelt werden. Verbesserungen, die insbesondere den prekär beschäftigten, meist migrantischen Beschäftigten zu Gute kämen.

Die Zeichen stehen auf Streik

Bereits in den vergangenen Wochen kam es zu mehreren Warnstreiks. Am 25. März streikte die gesamte Nachtschicht der Belegschaft des VION-Schlachthofs in Landshut und forderten auf Transparenten „Mehr Geld! Mehr Urlaub! Tarifvertrag jetzt!“. Einen Tag später legten auch 60 Beschäftigte des zum Tönnies-Konzern gehörenden Fleischverarbeiters Marten in Gütersloh die Arbeit nieder, um den Druck weiter zu erhöhen.

Die Bereitschaft der Beschäftigten, ihre Forderungen über Arbeitskämpfe durchzusetzen, ist hoch: Neben den Warnstreiks in den aktuellen Tarifauseinandersetzungen kam es zuletzt an drei Standorten des deutsch-niederländischen Schlachtkonzerns VION zu wilden Streiks. Die Arbeiter*innen wehrten sich mit Arbeitsniederlegungen erfolgreich gegen zu niedrige Lohnabrechnungen. Die Aufrufe zu Streiks sind daher alles andere als leere Drohungen: „Die Leute“, so Freddy Adjan (NGG), „waren schon vor der heutigen Tarifverhandlung extrem sauer – die Stimmung in den Betrieben wird sich jetzt noch weiter aufheizen.“

Solidarität mit den streikenden Arbeiter*innen in der Fleischindustrie

Unser Bündnis stellt sich in der aktuellen Auseinandersetzung klar hinter die Beschäftigten. Wir richten uns gegen die prekären und gering entlohnter Beschäftigungsverhältnisse in der Fleischindustrie und rufen dazu auf, die Arbeiter*innen in den Schlachthöfen und Fleischbetrieben aktiv zu unterstützen.

Aktuelle Informationen zu den Arbeitskämpfen:

NGG: Homepage | Facebook | Twitter | Instagram

Faire Mobilität: Homepage | Facebook | Twitter

Kommentar zur Borchert-Machbarkeitsstudie

Heute, am 02. März, veröffentlichte das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) die „Machbarkeitsstudie zur rechtlichen und förderpolitischen Begleitung einer langfristigen Transformation der deutschen Nutztierhaltung“ . In diesem Kommentar zur Borchert-Machbarkeitsstudie schauen wir uns an, welches die zentralen Punkte sind.

Umfangreiche Infos zur Borchert-Kommission (auch Kompetenznetzwerk Nutztierhaltung genannt) haben wir in einem separaten Hintergrund-Artikel veröffentlicht – dort führen wir auch aus, warum ihre Empfehlungen vom Februar 2020 gänzlich ungeeignet dafür sind, die Probleme im Zusammenhang mit der „Nutztier“-Haltung zu beheben.

Link zur Machbarkeitsstudie der Anwaltskanzlei Redeker Sellner Dahs

Welche Finanzierungsmöglichkeiten empfehlen die Autor*innen der Machbarkeitsstudie?

Die Autor*innen sprechen sich wegen geringerer Verwaltungskosten für die Option der Anhebung des ermäßigten Umsatzsteuersatzes für tierische Produkte aus.

Darüber hinaus erachten die Autor*innen der Machbarkeitsstudie folgende Optionen als ebenfalls denkbar:

  • Allgemeine Steuermittel
  • Verbrauchsteuer auf tierische Produkte (von Borchert-Kommission präferiert)
  • Ergänzungsabgabe Tierwohl (vom Borchert-Kommission nicht in Betracht gezogen)

Als nicht zielführend erachten die Autor*innen eine „Sonderabgabe Tierwohl“ sowie die Umwandlung von EU-Direktzahlungen.

Dabei geben die Autor*innen zu, dass selbst bei der von ihnen empfohlenen Option noch Fragen offen bleiben. Insbesondere hinsichtlich der Möglichkeit einer Zweckbindung der Steuer zum Zweck des Umbaus der Tierhaltung sehen die Autor*innen noch Schwierigkeiten. So schreiben sie, dass „im Falle einer Zweckbindung sowohl eine Verbrauchsteuer als auch eine Anhebung des ermäßigten Mehrwertsteuersatzes Zweifel an der Vereinbarkeit der Finanzierung mit Art. 30 bzw. 110 AEUV aufwerfen“. Diesem Umstand könnte laut den Autor*innen dadurch begegnet werden, dass die Borchert-Empfehlungen nicht lediglich durch Mehreinnahmen aus Steuern auf tierische Produkte, sondern vielmehr durch Steuererhöhungen auf sämtliche derzeit dem ermäßigten Satz unterliegende Lebensmittel finanziert würde. Somit würden auch pflanzliche Produkte teurer, um die Aufrechterhaltung der Tierindustrie mitzufinanzieren!

Wie teuer würde die Umsetzung der Borchert-Empfehlungen werden?

Eine vollständige Antwort liefert auch die Machbarkeitsstudie nicht. Jedoch wird klar: die Umsetzung würde noch teurer als von der Borchert-Kommission angenommen!

Die Borchert-Kommission ging im Februar 2020 davon aus, dass der skizzierte Umbau einen Finanzbedarf in Höhe von 1,2 Mrd. € (2025), 2,4 Mrd. € (2030) und 3,6 Mrd. € (2040) mit sich brächte. Demgegenüber gehen die Autor*innen der Machbarkeitsstudie von einem nochmal deutlich erhöhten Finanzbedarf aus: von 2,9 Mrd. Euro in 2025 (+58,62 %), 4,3 Mrd. Euro in 2030 (+44,19 %) und 4,0 Mrd. Euro in 2040 (+10,00 %).

Allerdings ist die Kostenaufstellung in der Machbarkeitsstudie – wie auch schon in den Borchert-Empfehlungen – sehr oberflächlich. Es wird nicht ersichtlich, wie der Finanzbedarf im Detail ermittelt wurde und wie er sich jährlich entwickeln würde bzw. wie hoch der Gesamt-Finanzbedarf über den gesamten Zeitraum wäre. Auch Kosten für etwaige flankierende Sozialmaßnahmen werden nicht mit einberechnet. So muss davon ausgegangen werden, dass es noch teurer würde.

Trifft die Machbarkeitsstudie gesicherte Aussagen hinsichtlich positiver Klima- und Umweltpotentiale der Borchert-Empfehlungen?

Nein, das tut sie nicht.

Die Autor*innen suggerieren zwar in der Machbarkeitsstudie an einigen Stellen, dass die Umsetzung der Borchert-Empfehlungen positive Effekte für Umwelt und Klima hätten. Beispielweise philosophieren sie in höchstem Rechtsdeutsch, dass „sich Anhaltspunkte [zeigen], dass die Maßnahmen zur Erfüllung von Tierwohl und solche zur Erfüllung von Umwelt- und Klimaanforderungen in mehrfacher Hinsicht wirkungskongruent sind.“

Effektiv bleiben sie aber belastbarer Aussagen schuldig. Vielmehr noch, geben sie an anderer Stelle zu, dass „im Rahmen dieser Studie lediglich Tendenzaussagen gemacht werden können. Für eine Quantifizierung solcher Wirkungen wären weitere umfassende technische Analysen der relevanten Produktionssysteme erforderlich“. Ergo: Die positiven Auswirkungen sind zum gegenwärtigen Stand nur spekulativ.

Die Anhaltspunkte, dass diese spekulativen positiven Auswirkungen auf Umwelt und Klima nicht eintreten, sind dagegen sehr deutlich. Denn: eine deutliche Reduktion der Tierbestände ist nicht vorgesehen. So schreiben die Autor*innen mit Verweis auf ein Gutachten für Klimaschutz in der Land- und Forstwirtschaft, das eine Aufhebung der Umsatzsteuervergünstigung für tierische Produkte untersuchte, lediglich von einer „Mengenreduktion in Höhe von 4-11 % bei Fleischprodukten, 2-11 % bei Milchprodukten und 2-8 % bei Eiern und Eiprodukten.“

Wie ist der weitere Zeitplan zur Umsetzung der Borchert-Empfehlungen nach der Veröffentlichung der Machbarkeitsstudie?

Das ist nicht klar.

Bundesministerin Klöckner betonte seit letztem Jahr regelmäßig, dass sie eine Umsetzung noch in dieser Legislaturperiode anstrebe, dafür jedoch zunächst die Machbarkeitsstudie vorliegen müsse. Nun liegt diese vor, jedoch ergibt sich aus der Machbarkeitsstudie direkt noch kein konkreter Zeitplan für das weitere Vorgehen. Zudem lässt auch die Machbarkeitsstudie an einigen Stellen noch Fragen offen, etwa mit Bezug auf die Schaffung nötiger Rahmenbedingungen auf EU-Ebene.

Ministerin Klöckner betonte in der Pressekonferenz, dass es nun vielmehr eine politische Frage sei, ob und wie die Borchert-Empfehlungen umgesetzt werden. Auf die Frage eines Journalisten, ob die Umsetzung noch innerhalb der laufenden Legislaturperiode zu erwarten sei, antwortet Ministerin Klöckner ausweichend – die Aussage „das Korsett Wahltermin ist nicht entscheidend“ lässt darauf schließen, dass sie selbst nicht mehr davon ausgeht.

Hintergrundinformationen zur Borchert-Kommission

Bundesagrarministerin Julia Klöckner verspricht seit Amtsbeginn, die Nutztierhaltung umzubauen. Für diesen Zweck hat sie 2019 die sogenannte Borchert-Kommission eingesetzt, deren offizielle Bezeichnung „Kompetenznetzwerk Nutztierhaltung“ lautet. Im Februar 2020 hat die Borchert-Kommission ihre Empfehlungen vorgelegt: eine zusätzliche Förderung der Tierwirtschaft in Höhe von 1,2 bis 3,6 Mrd. Euro jährlich bis 2040 zur Finanzierung von Tierwohl-Maßnahmen. Seitdem hat Julia Klöckner eine rasche Umsetzung der Empfehlungen zugesagt – den Worten sind bislang allerdings keine Taten gefolgt. In diesem Artikel stellen wir einige Hintergrundinformationen zur Borchert-Kommission zusammen, darunter: Welchen Auftrag hat die Borchert-Kommission? Wer ist in der Borchert-Kommission vertreten? Was passiert mit den Empfehlungen der Borchert-Kommission?

Welchen Auftrag hat die Borchert-Kommission?

Das BMEL hat der Borchert-Kommission folgende Aufgaben übertragen:

  • „Die aktuellen Entwicklungen und Herausforderungen aus allen Bereichen der Nutztierhaltung zu analysieren und Lösungswege für das BMEL vorzuschlagen.
  • Ansätze für die Verbesserung der gesellschaftlichen Akzeptanz der Nutztierhaltung in Deutschland aufzuzeigen und
  • Ideen und Vorschlägen zur Weiterentwicklung und Umsetzung der Nutztierstrategie zu entwickeln und dem BMEL vorzuschlagen.“1

Ein zentraler Ausgangspunkt der Borchert-Kommission für diese Aufgaben ist nach eigenen Angaben, „dass die Nutztierhaltung in Deutschland eine nachhaltige wirtschaftliche Perspektive haben sollte“. Zu diesem Zweck soll ein „gesellschaftlicher Konsens für eine verbindliche Umorientierung in Richtung auf eine substantielle Erhöhung des Tierwohlniveaus bei möglichst geringen Umweltwirkungen“ erlangt werden.2

Warum wurde die Borchert-Kommission eingesetzt?

Die Borchert-Kommission knüpft an die Nutztierhaltungsstrategie des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) an, die der damalige Minister Christian Schmidt (CSU) im Juni 2017 vorgestellt hat. Die Union und SPD hatten die Nutztierhaltungsstrategie 2018 in ihren Koalitionsvertrag aufgenommen und beschlossen, diese fortan „Nutztierstrategie“ genannten Umbaupläne weiterzuentwickeln. Zu diesem Zweck hat Ministerin Klöckner (CDU), als Nachfolgerin von Minister Schmidt im BMEL, 2019 die Borchert-Kommission eingesetzt.3

Dass die „Nutztier“-Haltung in der Krise ist und weitreichende Probleme mit sich bringt, ist daher offensichtlich mittlerweile auch in konservativen Kreisen angekommen. Dabei darf nicht vergessen werden, dass die Union (CDU/CSU) in der bundesdeutschen Geschichte die längste Zeit das Bundesagrarministerium geführt hat, aktuell ununterbrochen seit 2005. Damit sind sie maßgeblich für das Zustandekommen der gegenwärtigen Zustände mitverantwortlich. Dieser Umstand muss benannt werden, wenn Ministerin Klöckner und die Union nun vorgeben, die Tierhaltung in Richtung mehr Tier- und Umweltschutz umbauen zu wollen.

Wer ist in der Borchert-Kommission vertreten?

Die Leitung der Borchert-Kommission liegt bei Jochen Borchert, ehemaliger Bundesagrarminister (CDU) sowie Präsident des Deutschen Jagdschutz-Verbandes (DJV) und Vorsitzender des Direktoriums für Vollblutzucht und Rennen e.V. Köln, und gegenwärtig noch Ehrenvorsitzender der Jägerstiftung natur+mensch.4 Durch seine Leitung hat sich der umgangssprachlicher Name „Borchert-Kommission“ etabliert.

Bei der Zusammensetzung des Gremiums hat das BMEL das Ziel verfolgt, dass „Entscheidungsträger und Fachleute aus Politik, Wissenschaft, Praxis, Wirtschaft und Verbänden“ vernetzt werden. Laut Geschäftsordnung setzt sich die Borchert-Kommission wie folgt zusammen5:

  • 6 Vertreter der Länder,
  • 6 Vertreter der Wissenschaft,
  • 4 Vertreter der Tierhalter,
  • 8 Vertreter der Wirtschaftsverbände,
  • 4 Vertreter der Verbände des Verbraucher-, Tier- und Umweltschutzes und des Veterinärwesens,
  • Vertreter des Bundesministeriums für Landwirtschaft und Ernährung (haben das Recht, sich zu den Tagesordnungspunkten zu äußern).

Konkret sind laut BMEL folgende Organisationen vertreten:

  • Ministerium für Ländlichen Raum und Verbraucherschutz Baden-Württemberg
  • Niedersächsisches Ministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz
  • Ministerium für Landwirtschaft und Umwelt Mecklenburg-Vorpommern, Abteilung Landwirtschaft und ländliche Räume
  • Bayerisches Staatsministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
  • Ministerium für Energiewende, Landwirtschaft, Umwelt, Natur und Digitalisierung des Landes Schleswig-Holstein
  • Ministerium für Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz des Landes Nordrhein-Westfalen
  • Thünen Institut
  • Friedrich-Loeffler-Institut
  • Bundesforschungsinstitut für Tiergesundheit
  • Universität Kassel
  • Humboldt-Universität zu Berlin
  • Tierärztliche Hochschule Hannover
  • Georg-August-Universität Göttingen
  • Deutscher Bauernverband
  • Deutscher Raiffeisenverband
  • Bundesverband Rind und Schwein
  • Zentralverband der Deutschen Geflügelwirtschaft e.V.
  • Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft – AbL
  • Bundesverband des Deutschen Lebensmittelhandels
  • Verband der Fleischwirtschaft
  • Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft e.V.
  • Bund der Deutschen Landjugend e.V.
  • Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland e.V. (BUND)
  • Bundestierärztekammer e.V.
  • Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung
  • Bundesinformationszentrum Landwirtschaft
  • Bundesprogramm Nutztierhaltung
  • Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft
  • Sowie „Praktiker“ und „Betriebsleiter“

Ehemals eingeladen war der Deutsche Tierschutzbund, der in der konstituierenden Sitzung den Verzicht auf seine Teilnahme bekannt gab. Der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) war aktives Mitglied und verkündete am 11. Februar 2020 ebenfalls, seine Mitarbeit zu beenden.6

In der Öffentlichkeitsarbeit wird Julia Klöckner nicht müde zu betonen, dass die Borchert-Kommission dazu beitragen soll, einen gesellschaftlichen Konsens zu erarbeiten. Es ist nicht nachvollziehbar, wie angesichts dieser Zusammensetzung ein Konsens erreicht werden sollte, sind doch vor allem Profiteur*innen und Funktionär*innen vertreten und stellen Vertreter*innen der Zivilgesellschaft eine marginale Minderheit.

Wie arbeitet die Borchert-Kommission?

Die Borchert-Kommission konstituierte sich Anfang April 2019 auf Einladung von Bundesagrarministerin Julia Klöckner, die Arbeit nahm es am 9. Juli 2019 auf. Es verfügt über die Unterstützung einer Geschäftsstelle „Umsetzung des Bundesprogramms Nutzierhaltung“ (BUNTH), die die Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (BLE) in Bonn eingerichtet hat.7

Allzu viel weiteres ist allerdings nicht bekannt über die Arbeitsweise der Borchert-Kommission. Sie arbeitet sehr intransparent, ihre Termine werden nicht öffentlich angekündigt, Protokolle nicht zugänglich gemacht. Es ist unklar, wer die einzelnen Organisationen vertritt, welche Arbeitsgruppen eingesetzt wurden, wie die Entscheidungsfindung erfolgt. Es ist nicht nachvollziehbar, wie Julia Klöckner angesichts einer solch intransparenten Arbeitsweise einen gesellschaftlichen Konsens erarbeiten möchte.

Was empfiehlt die Borchert-Kommission?

Am 11. Februar 2020 veröffentlichte die Borchert-Kommission 20-seitige Empfehlungen an Ministerin Klöckner zur Weiterentwicklung der Nutztierstrategie des BMEL.8 Konkret schlägt die Borchert-Kommission sieben Maßnahmen vor, die zu einer vollständigen Überführung der deutschen Nutztierhaltung in Stufe 2 der geplanten Tierwohlkennzeichnung des BMEL führen sollen. Dabei sieht Stufe 2 (mit der Bezeichnung „verbesserte Ställe“) vor: „zusätzlicher Platz, Strukturierung, Klimazonen möglichst mit Kontakt zu Außenklima, teilweise Planbefestigung u. a., Neubauten mit Kontakt zum Außenklima, Umbauten möglichst mit Kontakt zu Außenklima“. Darüber hinaus soll auch in Stufe 3 („Premium“) ein „hinreichend großer“ Marktanteil erreicht werden.

Der vorgeschlagene Zeitplan sah noch im Jahr 2020 die Einführung einer staatlichen Tierwohlkennzeichnung bei Schweinen (2021 Erweiterung auf Geflügel, Verarbeitungseier, Rindfleisch und Milch), die Überarbeitung der Förderrichtlinien für Investitionsförderung und Tierwohlprämien, den Beschluss einer Finanzierungsstrategie für eine Erhöhung des Tierwohls durch den Deutschen Bundestag sowie den Start eines bundeseinheitlichen Tierwohl-Förderrahmens. Dieser Zeitplan ist als gescheitert anzusehen.

Darüber hinaus wurden für die Jahre 2025, 2030 sowie 2040 Meilensteine definiert:

  • 2025: Einführung einer verpflichtenden Tierwohlkennzeichnung auf EU-Ebene sowie Ziele für die Tierwohlstufen:
    • Schwein: Mindestens 50 % der Produktion in Stufe 1 oder höher. Mindestens 10 % in Stufe 2 oder höher.
    • Eier, Geflügel, Milch und Rind: ähnlich wie für Schwein.
  • 2030: Ziele für die Tierwohlstufen:
    • Alle Tierarten: Stufe 1 gesetzlicher Mindeststandard.
    • Schwein: Mindestens 40 % der Produktion in Stufe 2 oder höher.
    • Eier, Geflügel, Milch und Rind: ähnlich wie für Schwein.
  • 2040: Ziele für die Tierwohlstufen:
    • Alle Tierarten: Stufe 2 wird gesetzlicher Mindeststandard.
    • Marktanteil in Stufe 3 von mindestens 10 %.

Hinsichtlich der Finanzierung der Maßnahmen schätzt die Borchert-Kommission einen dauerhaften Bedarf von mehreren Mrd. Euro jährlich: 2025 1,2 Mrd. €, 2030 2,4 Mrd. € und 2040 3,6 Mrd. €. Offen blieb die Frage der Finanzierung. Die Borchert-Kommission hat mehrere Finanzierungsoptionen diskutiert und kommt zu der Einschätzung, dass eine mengenbezogene Abgabe auf tierische Produkte die bestgeeignete Lösung sei. Dabei verwies die Borchert-Kommission gleichzeitig darauf, dass es dafür noch einer externen Machbarkeitsstudie und Folgenabschätzung bedürfe.

Aus unserer Perspektive sind die Borchert-Empfehlungen gänzlich ungeeignet, die Probleme im Zusammenhang mit der „Nutztier“-Haltung zu beheben. Zum einen würden die vorgeschlagenen Maßnahmen den bestehenden Zustand in den Ställen für die Tiere nur minimal verändern – in diesem Kontext von „Tierwohl“ zu sprechen, ist an sich schon irreführend. Zum anderen ist eine Reduktion der Tierbestände in den Borchert-Empfehlungen nicht vorgesehen. Tatsächlich ist eine Umsetzung der Empfehlungen mit einer Beibehaltung der derzeitigen Bestände gut vereinbar und wird auch von einigen Akteur*innen gefordert.9 Vor diesem Hintergrund sind die Maßnahmen auch im Hinblick auf die Umweltschutzvorhaben als klar ungeeignet zu bewerten – ohne Abbau der Tierbestände ist die nötige deutliche Verringerung der Treibhausgasemissionen ebenso wenig machbar wie ein effektiver Umgang mit den vielen weiteren Umweltproblemen.

Was passiert mit den Empfehlungen der Borchert-Kommission?

Das Gremium hat beratende Funktion und soll vor allem dazu beitragen, einen gesellschaftlichen Konsens sicherzustellen. Die Empfehlungen sind daher nicht bindend, eine Umsetzung obliegt dem BMEL bzw. der Bundesregierung sowie dem Bundestag.

Am 04.07.2020 hat der Bundestag für die Umsetzung der Borchert-Empfehlungen gestimmt und der Bundesregierung den Auftrag erteilt, noch in dieser Legislaturperiode eine Strategie zur Umsetzung der Vorschläge zu erarbeiten und dem Bundestag vorzulegen.10

Daraufhin hat das BMEL eine Machbarkeitsstudie in Auftrag gegeben – allerdings erst Monate später, im Spätherbst 2020.11 Unterdessen arbeiteten die Arbeitsgruppen der Borchert-Kommission weiter an Details ihrer Umbauvorschläge, unter anderem an den „Tierwohl“-Kriterien. Ein vorgesehenes Arbeitstreffen der Borchert-Kommission am 12.02.2021, zu dem auch eigentlich die Machbarkeitsstudie vorliegen sollte, wurde jedoch vom BMEL auf unbestimmte Zeit verschoben. Am 20. Februar 2021 hat das BMEL nun eine Veröffentlichung der Machbarkeitsstudie bis zum 02. März in Aussicht gestellt.12

Aufgrund der verzögerten Auftragsvergabe für die Erarbeitung der Machbarkeitsstudie und einer erneuten Verzögerung bei der Veröffentlichung der Ergebnisse der Studie wurde das BMEL von verschiedenen Seiten kritisiert.1314 Auch von den Bundesländern: So hat das Land Niedersachsen inzwischen eine Entschließung in den Bundesrat eingebracht, die den Bund auffordert, noch vor der Bundestagswahl erste Schritte zur Umsetzung der Borchert-Empfehlungen umzusetzen – der Bundesrat soll am 5. März darüber entscheiden.15

Quellen und weitere Informationen

1 https://www.bmel.de/DE/themen/tiere/nutztiere/umbau-nutztierhaltung.html

2 https://www.bmel.de/SharedDocs/Downloads/DE/_Tiere/Nutztiere/200211-empfehlung-kompetenznetzwerk-nutztierhaltung.pdf?__blob=publicationFile&v=2

3 https://www.topagrar.com/management-und-politik/news/kloeckner-holt-ex-agrarminister-borchert-ins-bmel-10561277.html

4 https://www.jaegerstiftung.de/ueber-uns/menschen

5 Quelle: E-Mail vom 13.01.2021

6 https://www.vzbv.de/pressemitteilung/borchert-komission-gute-vorschlaege-keine-ueberzeugende-finanzierung

7 https://www.ble.de/SharedDocs/Meldungen/DE/2019/190403_Kompetenznetzwerk-Nutztierhaltung.html

8 https://www.bmel.de/SharedDocs/Downloads/DE/_Tiere/Nutztiere/200211-empfehlung-kompetenznetzwerk-nutztierhaltung.pdf?__blob=publicationFile&v=2

9 https://docplayer.org/198428091-Memorandum-des-agrar-und-ernaehrungsforums-oldenburger-muensterland-e-v-zu-den-borchert-empfehlungen.html

10 https://www.topagrar.com/schwein/news/borchert-kommission-bundestag-stimmt-fuer-umbau-der-tierhaltung-12103877.html

11 https://www.wochenblatt-dlv.de/politik/borchert-kommission-kritik-verspaeteter-studie-564280

12 https://www.bmel.de/SharedDocs/Meldungen/DE/Presse/2021/210220-machbarkeitsstudie.html

13 https://www.topagrar.com/management-und-politik/news/cdu-und-spd-setzen-in-der-agrarpolitik-auf-attacke-12443524.html

14 https://www.topagrar.com/schwein/news/tierschutzbund-warnt-vor-verzoegerungen-beim-umbau-der-tierhaltung-12488578.html

15 https://www.topagrar.com/schwein/news/bmel-erwartet-machbarkeitsstudie-in-den-naechsten-zehn-tagen-12484360.html

Beitragsbild: Bundesministerin Julia Klöckner bei konstituierender Sitzung des Kompetenznetzwerk Nutztierhaltung Bonn. © BMEL

Die Bauernproteste und die Krise der Landwirtschaft

Attribution: C.Suthorn / cc-by-sa-4.0 / commons.wikimedia.org

Ein Gastbeitrag von Animal Climate Action

Ende November stiegen hunderte Landwirt_innen überall in Deutschland mitten in der Nacht in ihre Traktoren, um die Zentrallager und Märkte großer Lebensmittelketten zu blockieren. Sie protestierten gegen die Preisgestaltung im Lebensmitteleinzelhandel (LEH). Die Belieferung der Lager wurde teilweise tagelang verhindert. Absperrungen der Polizei wurden umfahren und vor diversen Discountern wurden Strohballen abgeladen.

Blockaden bei Nacht und Nebel, unangemeldete Aktionen, Behinderung der Betriebsabläufe – das kennen wir aus Klimagerechtigkeits- und Tierrechtsbewegung gut. Aber auch Landwirt_innen greifen ab und zu auf zivilen Ungehorsam zurück. Vor allem 2020 wurden sie unbequem, denn die deutsche Landwirtschaft steckt in einer Krise, die sich durch Corona noch verschlimmert hat. In der Vergangenheit haben Landwirt_innen häufig ihren Protest auf die Straße getragen, sei es gegen sinkenden Milchpreise oder für ökologischere Landwirtschaft und artgerechte Tierhaltung. So wie überall gibt es auch in der Landwirtschaft verschiedene Haltungen und politische Strömungen. In diesem Artikel konzentrieren wir uns allerdings auf die sogenannten Bauernproteste dieses Jahres, deren treibende Kraft die Gruppe „Land Schafft Verbindung“ (LSV) ist. (Weitere aktive Gruppen sind etwa die Freien Bauern oder die Basis Bauern Bewegung.) Traditionellerweise wird die konventionelle deutsche Landwirtschaft durch CDU/ CSU und den DBV (Deutscher Bauernverband) vertreten. Seitens vieler Landwirt_innen wird dem DBV mittlerweile aber eine zu starke Nähe zur Politik und zu wenig Solidarität mit der eigenen Basis vorgeworfen. Viele fühlen sich von DBV und CDU/CSU im Stich gelassen.

Im Oktober 2019 gründete sich LSV, die eine Gegenposition zum DBV einnehmen. Im Januar 2020 rief LSV zu einem großen Protest am Vortag der „Wir haben es Satt“-Demonstration in Berlin auf. Tausende Landwirt_innen folgten dem Ruf und demonstrierten mit Traktoren in der Hauptstadt. Während das Bündnis „Wir haben es Satt“ ökologische Landwirtschaft und mehr Tierwohl fordert, stellte sich die LSV-Demo gegen strengere Tier- und Umweltschutzauflagen und die Preispolitik des LEH. Diese sind bis heute die prägenden Themen der Bauernproteste.

Seit Jahrzehnten sehen die Landwirt_innen für die von ihnen erzeugten Produkte immer weniger Geld. Während 1970 noch 19% des Brotpreises an die Erzeuger_innen gingen waren es 2019 nur noch 4%. Bei Milch waren es 57% und sind nun 39%. Dies hängt nicht nur mit den optimierten Betriebsabläufen zusammen, sondern vor allem mit der Strukturierung des Marktes. Die vier größten Gruppen – Edeka, Rewe, Aldi und die Schwarz-Gruppe (Lidl & Kaufland) – kontrollieren nach Angaben des Bundeskartellamts zusammen mehr als 85 Prozent des Lebensmittelmarktes in Deutschland. Das gibt ihnen eine enorme Marktmacht und die Möglichkeit Preise zu drücken. Betriebe, die die vorgegebene Preise nicht akzeptieren, werden im Sortiment nicht gelistet. Außerdem ist es ein Leichtes, günstigerer Agrarprodukte aus dem Ausland zu importieren. Lebensmittelimporte nach Deutschland steigen seit Jahren und die deutsch Landwirtschaft fühlt sich davon bedroht. LSV setzt sich deswegen auch für eine Förderung regionaler Produkte und gegen das Handelsabkommen Mercosur ein.

Die Preispolitik des LEH können nicht viele Betriebe mitmachen. Seit dem Jahr 2001 wurden etwa 38% der Rinderhaltungen, 53% der Hühnerhaltungen und rund 82% der Schweinehaltungen aufgegeben. Trotz dieses Höfesterbens ging der Tierbestand in Deutschland nicht zurück. So stieg etwa die pro Betrieb gehaltene Anzahl an Nutztieren, aber auch der bundesweite Geflügel und Schwenebestand immer weiter an.

Die Intensivierung der Landwirtschaft hat immense Folgen für die Umwelt:

Ein Rückgang der Arten vor allem bei den Insekten und Vögeln, eine hohe Stickstoffbelastung von Boden und Grundwasser und das Voranschreiten des Klimawandels. Diese Probleme bleiben von Politik und Gesellschaft nicht ungesehen. 2018 wurde Deutschland wegen Verstoßes gegen die EU-Nitratrichtlinie vom Europäischen Gerichtshof verurteilt. Deswegen wurde 2020 eine strengere Düngeverordnung beschlossen. Für viele Höfe bedeutet dies eine deutliche Reduktion von Stickstoffgaben und somit Einbußen bei der Ernte. 2019 setzte sich das „Volksbegehren Artenvielfalt“ als eines der erfolgreichsten Volksbegehren in Bayern durch. Es soll dem Artenverlust von Bienen und Schmetterlingen entgegen wirken. Im Rahmen der Kampagne wurde vor allem die Rolle der Landwirtschaft für das Insektensterben kritisiert. Und der IPCC-Bericht schätzt, dass die Landwirtschaft 24% der globalen Treibhausgasemissionen verursacht, weswegen Bündnisse und Gruppen wie Free the Soil, Gemeinsam gegen die Tierindustrie, Robin Wood oder Block Bayer im Kontext der Klimagerechtigkeitsbewegung gegen Agrarunternehmen vorgehen.

Diese Entwicklungen werden von den Landwirt_innen nicht wohlwollend aufgenommen. Sie fühlen sich häufig zu Unrecht beschuldigt und stellen sich bei ihren Protesten gegen „Bauernbashing“ und den vermeintlich sinkenden Respekt gegenüber dem Berufsstand.

Dabei ist auch die Landwirtschaft von Umwelt- und Klimakrise betroffen. Wegen der Dürresommer 2018 und 2019 mussten Soforthilfen in dreistelliger Millionenhöhe ausgezahlt werden. Die Erträge etwa bei Raps und Getreide fielen mager aus.

Doch strengere Auflagen im Sinne des Klima- und Umweltschutzes bedeuten finanzielle Einbußen, insbesondere in einer ökonomisch angespannten Lage, und die Landwirtschaft wehrt sich mit allen Mitteln. Landwirt_innen und Agrarverbände werfen der Politik vor, dass das Nitrat-Messnetz und die dazugehörigen Messstellen ungeeignet sind und ein Großteil der Belastung nicht von der heutigen Landwirtschaft verschuldet wurde, sondern von lange zurückliegenden Maßnahmen herrührt. LSV klagt nun gegen die neue Düngeverordnung.

In den Reihen der Bauernproteste hat sich eine enorme Ablehnung gegen jede Form von Klima- und Umweltschutz eingeschliffen, die oft mit einer feindlichen Haltung gegenüber NGOs, Presse und Wissenschaft einhergeht. Nicht selten sind Landwirtschafts-Aktivist_innen mit dem Logo von „Fridays for Hubraum“, einer klimwandelskeptischen Anti-FFF-Gruppe, zu sehen. Im LSV-Webauftritt wird akribisch jeder Fehltritt des NABUs dokumentiert. Und in Facebook- und Telegramgruppen wird die umwelt- und gesundheitsschädliche Wirkung von Pflanzenschutzmitteln oder Antibiotika in Frage gestellt. Auch an den maßgeblichen Einfluss der Landwirtschaft auf das Insektensterben will man nicht so Recht glauben. Die Schuld wird stattdessen bei der Flächenversiegelung, der Unkrautbekämpfung in Vorgärten oder Windradrotoren gesucht.

Ähnliche Haltungen zeigen sich, wenn es um Tierschutz geht. Missstände werden bestritten und auch kleine Reformen wie etwa das Verbot der betäubungslosen Ferkel-Kastration oder die Verkürzung der Kastenstandhaltung werden bekämpft.

Bei den Landwirt_innen hat sich das Gefühl manifestiert, mit immer neuen Richtlinien und Auflagen bombardiert zu werden, ohne dabei gesellschaftlichen oder politischen Rückhalt zu bekommen.

Zu all dem kam im Jahr 2020 noch die Corona-Krise, die die Situation in der Landwirtschaft weiter erschwerte: Saisonarbeiter_innen fehlten während der Ernte. Die Preise für Agrarprodukte stürzten noch tiefer in den Keller. Die sinkende Nachfrage aus der Gastronomie führte zu großen Einbußen, beispielsweise im Kartoffelanbau. Und die Schließung von Schlachtfabriken aufgrund von Coronafällen bei den Arbeiter_innen verursachte den sogenannten Schweinestau. Auf diese Schlachtfabriken sind Landwirt_innen der Tierindustrie angewiesen. Denn es gibt kaum noch Hofschlachtungen, da wenige, gigantische Unternehmen wie Tönnies und Westfleisch die Industrie dominieren. Der Schweinemarkt hat seit diesem Herbst zusätzlich mit der Afrikanischen Schweinepest zu ringen.

Zu Recht haben nun viele Landwirt_innen Angst um ihre Existenz. Es gibt genug Gründe, wütend zu werden und auf die Straße zu gehen. Leider geht es bei den Bauernprotesten nicht darum, die Landwirtschaft klimagerechter, ökologischer oder sozialer zu gestalten. Viel eher soll der Status Quo erhalten werden, mit geringfügigen preispolitischen Verbesserungen im nationalen Kontext. Nach Kritik am kapitalistischen Wirtschaftssystem, an der deutschen Exportdominanz oder am unverantwortlichen Handeln großer Fleischkonzern wie Tönnies sucht man bei den Protesten vergeblich. Stattdessen wird mit dem Finger auf Konsument_innen gezeigt, die mit ihrem „billigen“ Einkaufsverhalten vermeintlich Schuld an der Situation tragen würden. Oder es werden die Einbußen im Schweinefleischexport durch die Afrikanischer Schweinepest beklagt und gleichzeitig den Verbraucher_innen Vorwürfe gemacht, zu importierten statt zu deutschen Produkten zu greifen.

Dass viele der Probleme der Landwirtschaft hausgemacht sind, wird ausgeblendet. Gleichzeitig mangelt es an Solidarität mit migrantischen und marginalisierten Arbeiter_innen in der europäischen Landwirtschaft (die ebenfalls stark unter Corona leiden), einer kritischen Auseinandersetzung mit wissenschaftlichen Erkenntnissen und einer Abgrenzung von rechten Strömungen. (Letzteres werden wir in einem weiteren Artikel näher beleuchten).

Die Krise der Landwirtschaft ist ernst. Aber die Klimakrise, das Artensterben und die Situation der Nutztiere ist es ebenfalls. Und landwirtschaftspolitische Forderungen, die sich auf eine nationale Perspektive konzentrieren, werden niemals gerecht sein. Lasst uns gemeinsam für eine solidarische und ökologische Landwirtschaft eintreten und die Profiteure des Agrarkapitalismus benennen, stören und entmachten.

Quellen und weitere Informationen

Über die Gastautor_in: Animal Climate Action

Die Grillsaison ist wichtiger als Arbeitsrechte – Update: SPD und Union einigen sich auf Gesetzesentwurf

Aktuelles Update 27.11.2020: SPD und Union haben sich auf einen Gesetzesentwurf geeinigt – das Arbeitsschutzkontrollgesetz soll, gespickt mit Ausnahmen, ab Januar 2021 in Kraft treten. (sh. taz.de – Einschränkungen für Fleischindustrie: Aus für Werkverträge)

Eigentlich sollte ab Januar 2021 ein Gesetz in Kraft treten, welches Werkvertragsarbeit in Fleisch- und Zerlegebetrieben verbietet. Doch die CDU/CSU arbeitet bereits an einer Aufweichung des Gesetzes.

Während der Covid-19 Pandemie gab es immer wieder Infektionswellen unter den Arbeiterinnen der Fleischindustrie. Diese sind unter anderem auf die beengten Unterbringung und die schlechten Arbeitsbedingungen der Werkvertragsnehmer*innen in der Fleischindustrie zurückzuführen. Durch diese wiederkehrenden Infektionsgeschehen wurde die Aufmerksamkeit von Politik und Gesellschaft auf die Situation der Arbeiter*innen gelenkt.

Arbeitsminister Hubertus Heil brachte im Juli ein Gesetz auf den Weg, welches Werkverträge und Leiharbeit in der Fleischindustrie erschweren sollte. Im Oktober sollte es im Bundestag beschlossen werden, dies wurde jedoch vertagt. Die Fleischindustrie müsse laut CDU in Zeiten, in denen dir Produktion auf Hochtouren laufe, wie etwa der Grillsaison, flexibel bleiben. Und das gehe nur mit Werkverträgen und Leiharbeit.

Angesichts der tausenden von Coronainfektionen in dieser Industrie, der Unterschreitung von Mindestlöhnen, der viel zu langen Arbeitszeiten und der Verstößen gegen den Arbeitsschutz kann eine Abkehr von diesem Gesetz zu Gunsten von Würstchen und Steak durchaus als menschenverachtend bezeichnet werden.

Quellen und weitere Informationen

23.10.2020, Tagesschau: Zoff über Regeln für Fleischbranche

09.04.2020, Magazin Katapult: Ein Pfund Hack für 2,39 Euro und einen Finger

Watchblog-Themenseite: Corona-Ausbrüche in der Fleischindustrie

Studie: Enormes Treibhausgas-Einsparpotential durch den Ausstieg aus der Tierindustrie

Eine jüngst veröffentlichte wissenschaftliche Studie zeigt ein enormes Treibhausgas-Einsparpotential durch die Reduktion von Fleisch und Milch in der Ernährung. In der Publikation „The carbon opportunity cost of animal-sourced food production on land“ zeigen Wissenschaftler*innen verschiedener US-amerikanischer Universitäten, dass das Potential zur Einsparung von CO² durch den Ausstieg aus der Tierindustrie der Größenordnung der Emissionen fossiler Energieträger des gesamten letzten Jahrzehnts entspricht.

Der Grund ist, dass die Tierpoduktion enorme Landflächen beansprucht. Würden stattdessen Pflanzen für den direkten menschlichen Verzehr produziert, könnten die freiwerdenden Flächen für Klimaschutzmaßnahmen genutzt werden, etwa zur Aufforstung von Wäldern oder der Wiedervernässung von Mooren. Die Klimaschutzpotentiale dieser alternativen Nutzungsmöglichkeiten bezeichnen die Wissenschaftler*innen als Kohlenstoff-Opportunitätskosten, analog zur Nutzung des Begriffs Opportunitätskosten in der Ökonomie.

Würde ein globaler Umstieg hin zu pflanzenbasierten Ernährungsweisen gelingen, so schätzen die Autor*innen, könnten zwischen 332 und 547 Gigatonnen CO² eingelagert werden. Dies entspräche zwischen 99 und 163% des gesamten Emissions-Budget, das der Menschheit aktuell noch zur Verfügung steht, um mit 66% Wahrscheinlichkeit das 1.5 °C Ziel zu erreichen.

Die Opportunitätskosten gehen zu großen Teilen (72%) auf Weideflächen von Wiederkäuern zur Fleisch und Milchproduktion zurück. Demgegenüber sind die Flächen, auf denen die Tierindustrie Futtermittelanbau betreibt, für 28% verantwortlich. Und je länger die Regierungen den nötigen Wandel im Landwirtschafts- und Ernährungssystem hinauszögern, desto größer werden die stetig wachsenden Opportunitätskosten.

Würde die Tierproduktion wie in dem Szenario beschrieben so drastisch reduziert, wäre die Lebensmittelproduktion laut den Wissenschaftler*innen jedoch immer noch in der Lage, um die Weltbevölkerung mit mehr als genug der nötigen Nährstoffen zu versorgen.

Weitere Informationen

07.09.2020, Hayek, M.N., Harwatt, H., Ripple, W.J. et al.: The carbon opportunity cost of animal-sourced food production on land. Nat Sustain