So titelte am 15.01.2020 die Süddeutsche Zeitung (https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/lebensmittel-menschenrechte-1.4758022).
Der Artikel stellt eine kürzlich von Germanwatch und MISEREOR veröffentlichte Studie vor, welche deutliche Defizite bei der Einhaltung von Menschenrechten in der gesamten Lieferkette von Lebensmittel-Unternehmen aufzeigt.
Für die Studie haben die beiden Organisationen bzgl. „Menschenrechtlicher Sorgfaltspflicht im Agrarsektor“ 15 große deutsche Unternehmen aus Geflügelfleisch-, Milch-, Futtermittel- und Agrarchemiebranche unter die Lupe genommen. Die Ergebnisse sind sehr bezeichnend für eine auf Gewinn ausgerichtete kapitalistische Wirtschaftsweise. So erfüllt kein einziges der insgesamt 15 Unternehmen ausreichend die Anforderungen der UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte.
Bei der Auswahl der zu untersuchenden Unternehmen haben sich Germanwatch und MISEREOR auf die wichtigsten Teilbereiche der deutschen Agrarwirtschaft konzentriert. Dazu gehören die Erzeugung tierischer Produkte und die damit zusammenhängende Futtermittelproduktion, welche in Deutschland den größten Teil des landwirtschaftlichen Produktionswertes repräsentieren (BLE 2018). Im Bereich der Fleischerzeugung fiel die Auswahl der Unternehmen auf die 5 größten Geflügelfleischproduzenten darunter auch die PHW-Gruppe (Wiesenhof) mit folgender Begründung.
Aus dem Bericht 2020 Globale Agrarwirtschaft und Menschenrechte: Deutsche Unternehmen und Politik auf dem Prüfstand S. 47:
„Im Fleischbereich ließ der Umfang der vorliegenden Befragung nur eine kleinere Auswahl an Untersuchungen zu. Im Sinne einer risikoorientierten Untersuchung gaben folgende Gesichtspunkte den Ausschlag dafür, den Geflügelsektor auszuwählen:
1.) Der Exportanteil des in Deutschland erzeugten Geflügelfleisches liegt bei etwa 50 Prozent (Thobe et al. 2019: 3) und ist damit im Vergleich zu den anderen Fleischsektoren am höchsten.
2.) Seit mehreren Jahren dokumentieren Berichte über Geflügelfleischexporte auf Märkte des globalen Südens menschenrechtlich relevante Auswirkungen für Klein-bäuerinnen und -bauern (Maas et al. 2015, Mari 2017).
3.) Zudem belegen bereits seit Jahren Berichte aus der Geflügelfleischerzeugung, -schlachtung und -verarbeitung sehr problematische Arbeitsbedingungen, insbesondere für migrantische Arbeitnehmer*innen (vgl. Kasten, S. 58f).
Darüber hinaus ist die Belastung von Geflügelfleisch mit antibiotikaresistenten Keimen höher als bei anderen Fleischarten (BVL 2019: 52). Damit geht einher, dass die gesundheitsrelevante Exposition der Beschäftigten in der Geflügelfleischbranche noch höher ist als in anderen Bereichen der Fleischproduktion.
Diese Kriterien führten in der Summe dazu, dass der vorliegende Bericht im Fleischbereich auf die fünf führenden Unternehmen der Geflügelwirtschaft eingeht. Dies sind die PHW-Gruppe, Rothkötter, die Sprehe-Gruppe, Heidemark und Plukon.“
Vor allem die deutschen Geflügelfleischproduzenten schneiden in der Untersuchung besonders schlecht ab. So bekennt sich keines der fünf Unternehmen selbst zur Achtung der Menschenrechte. Von der PHW-Gruppe wird dies lediglich von deren Lieferanten erwartet.
Dabei sind laut Studie gerade mit dem Bereich der Geflügelfleischproduktion erhebliche menschenrechtliche Risiken verbunden:
So führt etwa der Sojaanbau für Futtermittel vielfach zu Landvertreibungen und zu giftigem Pestizideinsatz in Südamerika. Der massive Einsatz von Antibiotika* in der Tierhaltung verstärkt zudem die Nachfrage in den Antibiotika-Produktionsländern Indien und China. Dies erhöht zugleich das Risiko von Resistenzen. Exporte von Geflügelteilen aus der EU bedrohen in Westafrika das wirtschaftliche Überleben einheimischer Produzenten und gefährden ihre Lebensgrundlage. Auch in Deutschland sehen die Experten Defizite. So sind etwa die Arbeitsbedingungen in deutschen Schlachtbetrieben zum Teil menschenverachtend.
Hierzu gibt es in der Studie auf den S. 58 und 59 einen ausführlichen Bericht über Arbeits- und Menschenrechtsverletzungen in der Fleischindustrie Süd-Oldenburg. Hier dokumentierte auch die Arbeitslosenselbsthilfe Oldenburg (ALSO) aus ihrer Beratungsarbeit erschreckende Zustände.
„Arbeitsmigrant*innen müssen in heruntergekommenen Wohnungen leben, die zu Wuchermieten mit Werkvertragsarbeitern vollgestopft werden“ (LCV 2018). Die oft völlig überhöhte Miete wird meistens direkt vom Lohn abgezogen und im Fall einer Kündigung verlieren die Arbeiter*innen auch das Dach über dem Kopf (ALSO 2018: 8).“
„Viele Arbeiter*innen arbeiten zwölf Stunden pro Tag, sechs Tage in der Woche, bis zur totalen Erschöpfung.“
„In der Regel sind die Arbeitsverträge in der Fleischindustrie befristet, oft auf die Länge der Probezeit. So sind Kündigungen kurzfristig und ohne Grund möglich. Zudem ist ein Großteil der Beschäftigten durch Werk- oder Leihverträge angestellt.„
Dass Menschenrechtsverletzungen in der Geflügelbranche und gerade im Schlacht- und Zerlegebetrieb keine Ausnahmen darstellen, zeigt ein aktuelles Gerichtsverfahren dazu. So findet zur Zeit am Landgericht Oldenburg ein Prozess statt, bei dem zwei Männer angeklagt sind, zwischen 2007 und 2010 ausländische Arbeitskräfte ohne Genehmigung beschäftigt und dadurch Gewinne in Millionenhöhe erzielt zu haben. Sie sollen eine Art Vermittlungsfirma zwischen dem Fleischverarbeitungsbetrieb Wiesenhof im niedersächsischen Lohne und vermutlich mehreren bulgarischen Firmen betrieben haben. Die im Prozess geladenen Zeug*innen sprechen von Stundenlöhnen von drei bis vier Euro.
Mit im Gerichtssaal sitzen auch Vertreter der „Oldenburger Geflügelspezialitäten GmbH & Co. KG“, besser bekannt unter ihrem Markennamen Wiesenhof. Sie fordern eine Einstellung des Verfahrens, unter anderem mit dem Verweis auf das Bundesverfassungsgericht. Dieses hat auf die Frage, ob die Firma auch für bereits verjährte Fälle den unrechtmäßig erzielten Gewinn abführen muss, noch keine Entscheidung getroffen.
Bereits 2017 fand ein Prozess wegen illegaler Beschäftigung bei der Wiesenhof-Tochter Geestland von über 900 Arbeiter*innen zu Niedriglöhnen statt. Hier wurden letztendlich die beiden Angeklagten (Geestland Geschäftsführer Norbert Deeken und dem wegen Beihilfe angeklagten ehemaligen Wiesenhof-Prokuristen und Pro Work Geschäftsführer Frank Diekmann) vom Landgericht Oldenburg freigesprochen. Der Vorwurf sei zwar erwiesen, die Taten sind aber bereits verjährt. Dennoch muss PHW/Wiesenhof die Lohnkosten, die durch die Dumpinglöhne aufs Konzernkonto gespart wurden an die Staatskasse zahlen. Das sind zehn Millionen Euro, die eigentlich den ausgebeuteten Arbeiter*innen gehören und nicht dem Staat, der mit diesem Geld dann wieder riesige Tierfabriken subventioniert.
Unsere Forderungen:
Wir fordern das Ende der Ausbeutung von Arbeiter*innen in der Tierindustrie.
Wir wollen gute und faire Arbeitsplätze! Daher fordern wir ein sofortiges, vom Vermögen der PHW-Gruppe und der gesamten Tierindustrie finanziertes solidarisches Strukturwandelprogramm für bislang stark von der Tierindustrie dominierte Regionen. Wir fordern die Enteignung der Industrie und eine Fortführung unter Arbeiter*innenkontrolle. Dies geht einher mit einer Umstellung der Anlagen in ökologisch verträgliche und solidarische Pflanzenproduktionsstätten unter der Selbstverwaltung der Arbeiter*innen.
* Aus dem Bericht 2020 Globale Agrarwirtschaft und Menschenrechte: Deutsche Unternehmen und Politik auf dem Prüfstand / Kasten 3: Antibiotikaproduktion ohne Abwasserbehandlung als Ursache für die Ausbreitung von Antibiotikaresistenzen S. 57: „Weltweit werden 73 Prozent aller produzierten Antibiotika in der intensiven Massentierhaltung eingesetzt (Boeckel 2019: 1), in Deutschland rund die Hälfte dieser wertvollen Medikamente. Einige Konzerne wie z. B. die PHW-Gruppe, zu der auch Wiesenhof und Lohmann Pharma gehören, produzieren sowohl Fleisch als auch Veterinär- und Humanpharmaka, darunter Antibiotika aus zugekauften Wirkstoffen (Lohmann Pharma 2019)“
Quellenangaben:
https://germanwatch.org/de/17697
https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/lebensmittel-menschenrechte-1.4758022
https://taz.de/Wiesenhof/!t5025718/
https://taz.de/Prozess-gegen-Wiesenhof-Schlachterei/!5447904/
https://www.ndr.de/nachrichten/niedersachsen/oldenburg_ostfriesland/Kossen-Brueder-beklagen-Schimmelzimmer-fuer-Arbeiter,kossen288.html
https://www.ndr.de/nachrichten/niedersachsen/oldenburg_ostfriesland/Praelat-Kossen-fordert-Lobby-fuer-Arbeitsmigranten,kossen268.html
https://www.ndr.de/fernsehen/sendungen/panorama3/Wiesenhof-Das-Schicksal-der-Werkvertrag-und-Leiharbeiter,wiesenhof544.html
http://www.ndr.de/nachrichten/niedersachsen/oldenburg_ostfriesland/Landgericht-spricht-Ex-Wiesenhof-Manager-frei,wiesenhof630.html