Der folgende Text wurde ursprünglich im Magazin Tierbefreiung (Ausgabe 107) abgedruckt. Wir haben ihn hier mit freundlicher Genehmigung der Autorin mit leichten Änderungen übernommen.
Hier findet ihr zudem eine Linksammlung zu Zusammenhang zwischen der Tierindustrie und dem Entstehen und Ausbreiten von Zoonosen, die wir im Frühjahr 2020 zusammengestellt haben.
Die Coronakrise und ihre Hintergründe
Die sogenannte Corona-Krise bestimmt derzeit das politische sowie das private Leben auf der ganzen Welt. SARS-CoV-2 (Severe Acute Respiratory Syndrome CoronaVirus-2), welches die Lungenkrankheit Covid-19 auslöst, ist eine der großen Pandemien, die sich mittlerweile rasant über den ganzen Globus ausbreitet.1
Bei Covid-19 handelt es sich um eine Infektionskrankheit, welche bei Menschen und Tieren gleichermaßen auftritt und zwischen diesen übertragen werden kann (=Zoonose). Der Ursprung liegt sehr wahrscheinlich auf dem Huanan See- und (Wild)tiermarkt, Wuhan (China). Der Erreger dieser Krankheit gehört zu den sogenannten Coronaviren, welche durch die Krankheiten MERS4 (Middle East Respiratory Syndrome) und SARS5 bereits bekannt sind, wird hauptsächlich von Mensch zu Mensch übertragen und kann Symptome wie Fieber, Husten, Halsschmerzen und Lungenentzündungen hervorrufen, wobei Menschen ohne Vorerkrankung häufig keine bis leichte Symptome zeigen.2
Woher kommt das Virus?
Aktuelle Studien gehen davon aus, dass der Vorläufer des SARS-CoV-2 aus Hufeisennasen-Fledermäusen stammt und vermutlich über einen Zwischenwirt, wie Schuppentiere (Pangoline) oder Schleichkatzen (Larvenroller) auf Menschen übertragen wurde. Verschiedene Verschwörungstheorien besagen zwar, dass es sich um ein chinesisches oder US-amerikanisches „Laborvirus“ handle, doch dies ist sehr unwahrscheinlich.2,3 Damit reiht sich Covid-19 in eine lange Reihe von Zoonosen ein, welche etwa dreiviertel aller Infektionskrankheiten ausmachen und die weltweit Millionen Todesopfer gefordert haben. Bekannte Beispiele sind: Ebola, AIDS, Lyme-Borreliose, Zika, Hantaviren, SARS, MERS, Nipah-Virus, Schlafkrankheit und die Beulenpest.4-6 Das Influenza H1N1-Virus, auch bekannt als Spanische Grippe, infizierte während des ersten Weltkriegs im Jahr 1918, etwa 500 Mio Menschen und forderte 50 Mio Opfer. Ausgangspunkt für dieses Virus war vermutlich eine durch wild-lebende Vögel infizierte Hühner- oder Putenfarm.
Wie kommt es zur vermehrten Entstehung und Ausbreitung von Zoonosen?
Intakte Ökosysteme, wie Regen- und Urwälder, haben eine hohe Biodiversität, es leben also viele gut an die Umwelt und aneinander angepasste, spezialisierte Arten nebeneinander, was die Ausbreitung von Infektionskrankheiten eindämmt. Grund hierfür ist vermutliche die hohe Immunität der Populationen durch langsame Evolution unter gegenseitiger Beeinflussung von Erregern und Wirtstieren (Koevolution). Wird jedoch in diese Ökosysteme eingegriffen, wirken die natürlichen Schutzmechanismen nicht mehr. Im Folgenden sind drei mögliche grundlegende Mechanismen aufgelistet,8-21 die dazu beitragen, dass neuartige Zoonosen entstehen, welche zu Covid-19 vergleichbaren Pandemien führen können:
Jagd und Handel von Wildtieren
Durch die hohe Nachfrage nach „Wildfleisch“ dringen mehr und mehr Jäger*innen immer tiefer und häufiger in Ökosysteme ein, fangen und töten dort (exotische) wild-lebende Tiere. Diese werden dann verzehrt oder über weite Strecken transportiert, um dann häufig auf Wildtiermärkten neben Nutztieren in Käfigen gehalten und verkauft zu werden. Natürlicherweise würden diese unterschiedlichen Tiere nicht zusammentreffen, wodurch Viren und andere Krankheitserreger, wie beispielsweise Coronaviren, leicht zwischen Spezies übertragen werden und mutieren können.
Zerstörung von Ökosystemen
Die fortschreitende Abholzung von Ur- und Regenwäldern, die Stilllegung von Mooren und die zunehmende Bebauung, bedingt durch eine globale, kapitalistische Wirtschaftsweise, welche die Natur als Produktionsmittel betrachtet, führen zur zunehmenden Zerstörung von funktionierenden Ökosystemen. Dadurch werden Wildtiere vertrieben und ganze Arten ausgelöscht. Die vertriebenen Tiere müssen zunehmend die Nähe menschlicher Behausungen suchen, um zu überleben, was gleichzeitig enormen Stress bedeuten kann. Hierdurch steigt die Anfälligkeit für Infektionskrankheiten enorm. Durch die Nähe zum Menschen steigt ebenso das Risiko einer Übertragung.6
Intensivtierhaltung und Futtermittelproduktion
Die Haltung sehr vieler Tiere auf engem Raum und unter miserablen hygienischen Bedingungen bedeutet eine hohe gesundheitliche Gefahr, sowie physischen und psychischen Stress für diese. Krankheiten können sich so sehr leicht verbreiten, und auch auf Arbeiter*innen übertragen werden. Bekannte Beispiele hierfür sind die Vogel- und die Schweinegrippe;8 beide werden durch Influenza-Viren ausgelöst. Um einer Pandemie vorzubeugen werden, nach Bekanntwerden eines infizierten (häufig wild-lebenden) Tieres, sämtliche Tiere umliegender Anlagen getötet, auch wenn sie noch gesund sind.22,23
In vielen Intensivtierhaltungen wird auf die (meist) prophylaktische Gabe von klinisch relevanten, therapeutisch verwendeten Antibiotika (aus medizinischer Sicht notwendig) zur „Bestandssicherung“ zurückgegriffen. Die Tier- und Agrarindustrie sind die derzeit größten Verbraucher*innen von Antibiotika! Sind Bakterien (entweder im Körper oder in Ausscheidungen) über einen längeren Zeitraum in Kontakt mit Antibiotika, können sie relativ schnell Resistenzen entwickeln, die selbst über die bakteriellen Speziesgrenzen hinweg weitergegeben werden können. Wird ungekochtes Fleisch mit resistenten Bakterien verzehrt, kann es zu einer Übertragung der resistenten Bakterienstämme auf Menschen oder der Resistenzen selbst auf Menschen-besiedelnde Bakterien kommen. Zudem werden diese durch Transport, Verarbeitung und das Ausbringen von Gülle auf Felder weiter in der Umwelt verbreitet. Somit ist die industrielle Tierhaltung mitverantwortlich für die derzeitige Verbreitung von Antibiotika-resistenten Bakterien, die weltweit viele Opfer fordern.12
Die Produktion von Futtermitteln für die Tierproduktion weltweit findet auf etwa 60-80%9,10 der landwirtschaftlich genutzten Fläche unseres Planeten statt! Täglich werden immense Flächen Ur- und Regenwälder abgeholzt und ersetzt durch Monokulturen mit hohem Pestizideinsatz. Dies ist einer der größten Faktoren für die Zerstörung der verbleibenden intakten Ökosysteme und trägt damit zum Verlust der Biodiversität bei, was, wie oben erwähnt die Entstehung und Ausbreitung neuartiger Pandemien begünstigt. Zudem werden lokale, nachhaltig wirtschaftende Kleinbäuer*innen, insbesondere im globalen Süden von multinationalen Konzernen vertrieben.9
Zusammengefasst, haben die vergangenen und die derzeitige Corona-Pandemie eine gemeinsame Ursache: die Nutzung der Tiere für unsere Zwecke, die Ausbeutung der verbliebenen Ökosysteme, sowie unsere auf Profitmaximierung ausgelegte globale Wirtschaftsweise. Es hat zwar schon immer Zoonosen und Krankheitsausbrüche gegeben, wie den Ausbruch der Pest, allerdings häufen sich diese in den letzten Jahrzenten. 24,25
Was können wir also tun?
Der wirksamste Schutz vor Zoonosen sind intakte Ökosysteme mit hoher Biodiversität – wir sollten alles daran setzen die Verbliebenen zu erhalten! Das immer weitere Vordringen in diese Ökosysteme für die Jagd und den Futtermittelanbau muss gestoppt werden! Nötig wäre eine grundlegende Agrarwende und ein umfassender Systemwandel, weg von einer profitorientierten Wirtschafts- und Produktionsweise, hin zu einer solidarischen und ökologischen Produktions- und Organisationsweise. Was es dafür braucht ist die Abschaffung der Tierindustrie und damit die Reduzierung der Probleme, die sie schafft: Tierleid, die Ausbeutung der Arbeiter*innen und der Natur, sowie die Klimakrise.
Vergangene Pandemien, insbesondere Ebola, AIDS, Malaria oder die Schlafkrankheit, trafen häufig besonders die Menschen im globalen Süden, die kaum Zugang zu Hygieneeinrichtungen, Medikamenten oder sauberem Trinkwasser haben. Auch die derzeitige Versorgungslage in Lagern für Geflüchtete ist ein nicht-hinnehmbares Risiko für die dort lebenden Menschen. Genauso wie die Arbeitsmigrant*innen in den Schlacht- und Zerlegebetrieben der Fleischindustrie einem erhöhten Risiko ausgesetzt sind und sich kaum schützen können. Wie in fast jeder gesellschaftlichen Krise trifft es somit auch in der Corona-Krise vor allem die Menschen, die in dieser Gesellschaft ganz unten stehen. Zeigen wir uns solidarisch mit ihnen!
References
1. Aktuelle Infektionszahlen unter https://www.worldometers.info/coronavirus/
2. Zheng, J., “SARS-CoV-2: an Emerging Coronavirus that causes a global threat,” International journal of biological sciences, V. 16, No. 10, 2020, pp. 1678–1685.
3. Andersen, K. G., Rambaut, A., Lipkin, W. I., Holmes, E. C., and Garry, R. F., “The proximal origin of SARS-CoV-2,” Nature Medicine, V. 26, No. 4, 2020, pp. 450–452.
4. RKI, M., “Informationen des RKI zu MERS-Coronavirus,” 13.12.2019 https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/M/MERS_Coronavirus/MERS-CoV.html.
5. Cheng, V. C. C., Lau, S. K. P., Woo, P. C. Y., and Yuen, K. Y., “Severe Acute Respiratory Syndrome Coronavirus as an agent of emerging and reemerging infection,” Clinical Microbiology Reviews, V. 20, No. 4, 2007, pp. 660–694.
6. Wolfe, N. D., Daszak, P., Kilpatrick, A. M., and Burke, D. S., “Bushmeat hunting, deforestation, and prediction of zoonoses emergence,” Emerging infectious diseases, V. 11, No. 12, 2005, pp. 1822–1827.
7. Tumpey, T. M., Basler, C. F., Aguilar, P. V., Zeng, H., Solórzano, A., Swayne, D. E., Cox, N. J., Katz, J. M., Taubenberger, J. K., Palese, P., and García-Sastre, A., “Characterization of the reconstructed 1918 spanish influenza pandemic virus,” Science, V. 310, No. 5745, 2005, pp. 77–80.
8. “Was Forscher über den Ursprung der Pandemie wissen,” 28.03.2020, Spiegel. https://www.spiegel.de/wissenschaft/medizin/coronavirus-warum-viren-in-tieren-so-gefaehrlich-sind-a-bcfe8de8-3e04-49e8-9955-6f00e382d309.
9. Steinfeld, H., Gerber, P., Wassenaar, T. D., Castel, V., Rosales, M., and Haan, C. de, “Livestock’s long shadow: environmental issues and options,” Food & Agriculture Org, 2006.
10. https://www.globalagriculture.org/report-topics/meat-and-animal-feed.html
11. Henning Brian G., “Standing in Livestock’s ‚Long Shadow‘: The Ethics of Eating Meat on a Small Planet,” Ethics & the Environment, No. 16, 2011, pp. 63–93.
12. Ellen K. Silbergeld, Jay Graham, and Lance B. Price, “Industrial Food Animal Production, Antimicrobial Resistance, and Human Health,” Annual Review of Public Health, V. 29, No. 1, 2008, pp. 151–169.
13. “Covid-19: Die Frau, die Coronaviren jagt,”. 17.03.2020. Spektrum https://www.spektrum.de/news/die-frau-die-coronaviren-jagt/1713320.
14. Greger, M., “Bird Flu A Virus of Our Own Hatching,” Lantern Books, New York, 2006.
15. “Fact check: Is COVID-19 caused by human consumption of animals?,” USA Today, 2020. https://eu.usatoday.com/story/news/factcheck/2020/03/18/coronavirus-fact-check-covid-19-caused-eating-animals/5073094002/.
16. “Coronavirus: »Die Agrarindustrie würde Millionen Tote riskieren.«,” 15.03.2020. Amerika21. https://amerika21.de/analyse/238220/coronavirus-und-agrarindustrie.
17. “Epidemiologie Gestresste Fledermäuse übertrugen das Virus,” Science ORF.at, 31.03.2020. https://science.orf.at/stories/3200448/.
18. “The Ecology of Deseases,” New York Times, 14.12.2012. https://www.nytimes.com/2012/07/15/sunday-review/the-ecology-of-disease.html
19. “Auslöser sind Umweltveränderungen: Die Corona-Pandemie wäre ohne den Menschen nicht entstanden, sagt die Biologin Simone Sommer. Naturschutz sei auch für unsere Gesundheit zentral.,” TAZ, 2020. https://taz.de/Biologin-ueber-Pandemien/!5675740/.
20. Rob Wallace, “Connecting the Coronavirus to Agriculture,” Counterpunch, V. 24.02.2020. https://www.counterpunch.org/2020/02/24/connecting-the-coronavirus-to-agriculture/.
21. Dandagi, G. L., and Byahatti, S. M., “An insight into the swine-influenza A (H1N1) virus infection in humans,” Lung India : official organ of Indian Chest Society, V. 28, No. 1, 2011, pp. 34–38.
22. “Ist das Keulen Tausender Tiere wirklich nötig?,” Welt, 28.11.2016. https://www.welt.de/regionales/hamburg/article159804191/Ist-das-Keulen-Tausender-Tiere-wirklich-noetig.html.
23. “Vogelgrippe-Epidemie: Südkorea tötet 26 Millionen Hühner,” Agrar heute, 28.12.2016. https://www.agrarheute.com/tier/vogelgrippe-epidemie-suedkorea-toetet-26-millionen-huehner-530166.
24. Madhav N, Oppenheim B, Gallivan M, et al. Pandemics: Risks, Impacts, and Mitigation. In: Jamison DT, Gelband H, Horton S, et al. Disease Control Priorities: improving health and reducing poverty. 3rd edition. Washington (DC): The International Bank for Reconstruction and Development / The World Bank; 2017 Nov 27. Chapter 17. Available from: https://www.ncbi.nlm.nih.gov/books/NBK525302/ doi: 10.1596/978-1-4648-0527-1/pt5.ch17
25. „Wenn wir weiter so machen stirbt unsere Spezies aus.“ 09.04.2020. Ausgburger Allgemeine. https://www.augsburger-allgemeine.de/kultur/Journal/Wenn-wir-so-weitermachen-stirbt-unsere-Spezies-aus-id57208341.html?fbclid=IwAR06V7J21eumwq9ndRy_ZDzlhncI0P1woj7C4N07Y8OMA9k7f56VPanUrlo
Nicht im Text angeführt:
Big Farms make big Flu. Rob Wallace, ISBN-13: 978-1583675892 Spillover: Animal Infections and the Next Human Pandemic. David Quammen ISBN-13: 978-0393066807