Das am Mittwoch (03.06.2020) beschlossene Konjunkturprogramm der Bundesregierung umfasst weitere Hilfen für die Tierindustrie. Nachdem bereits im April erste Corona-Hilfen beschlossen wurden, wurde nun auf Vorschlag von Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner ein Investitionsförderprogramm von 300 Mio. Euro aufgelegt.
Unverhohlenes Ziel der Maßnahme ist die Standortsicherung für die deutsche Tierindustrie, als weitere Ziele werden noch Tier- und Umweltschutz genannt. Wir sagen: Echter Schutz der Tiere sowie der Umwelt, und auch der Arbeiter*innen, geht nur durch die Abschaffung der Tierindustrie und massive Anstrengungen für eine Agrarwende – und nicht durch noch ein weiteres Förderprogramm für die Tierindustrie.
Bei der Tierindustrie-Lobby kommt die Maßnahme erwartungsgemäß gut an und fordert direkt noch mehr. Der Deutsche Bauerverband kommentiert etwa: „Dieses Konjunkturprogramm hilft auch der Land- und Forstwirtschaft. […] Bestandsanlagen brauchen hier eine Perspektive, aber auch Ersatzinvestitionen in Form von erweiterten Neubauten müssen möglich sein.“
PETA weist darauf hin, dass die Missstände den Angezeigten bekannt waren und diese durch die Inkaufnahme dieser Umstände an mehreren Hundert Corona-Infektionen schuld seien. Der Betrieb in den angezeigten Unternehmen lief trotz steigender Infektionszahlen und unzureichender Hygienebedingungen weiter – die Betreiber haben für die Gewinnmaximierung wissentlich weitere Infektionen und etwaige daraus resultierende Gesundheitsschädigungen riskiert.
„Die Frage, ob Nutztiere so gezüchtet wurden, dass sie eine Qualzucht darstellen, die ist in höchstem Maße berechtigt“. Der Präsident der Landestierärztekammer Mecklenburg-Vorpommern, Holger Vogel, kritisiert die Milchindustrie gegenüber dem NDR ungewohnt offen. Und dies ausgerechnet zum 1. Juni, dem vom Internationalen Milchwirtschaftsverband IDF ausgerufenen „Weltmilchtag“.
Traditionell eher ein Tag, an dem Medien wohlwollend die PR-Meldungen von Milchverbänden wiedergeben. Vogel spricht sich nicht generell gegen die Haltung von Kühen für die Milchproduktion aus, stellt aber fest, dass jede zweite Kuh an Euterentzündungen, an Stoffwechsel- und Fruchtbarkeitsstörungen sowie an Problemen mit den Klauen leide. Untersucht wurden Kühe der in Deutschland verbreitetsten Rasse ‚Deutsches Holsteinrind‘. In den letzten 40 Jahren hat sich die Milchleistung der Kühe von 5.000 auf durchschnittlich 10.000 kg Milch pro Jahr erhöht. Nach fünf Jahren und drei Schwangerschaften werden die meisten Tiere, die eine Lebenserwartung von 20 bis 25 Jahren haben, in die Schlachthäuser transportiert.
„Wenn man sich die Kreatur, das Mitgeschöpf mal anschaut, wie sie dann oft aussehen, wenn die Nutzungszeit zu Ende ist, wie sie auf den Schlachthöfen ankommen, ja, geradezu entsorgt werden, das muss doch betroffen machen“, so Vogel.
Auch Recherchen zeigen immer wieder elende Lebensbedingungen und weitreichende Verstöße gegen so genannte Tierschutzvorgaben. Ein Großbetrieb wurde im Allgäuer Tierschutzskandal nach einer Recherche der Tierrechtsorganisation SOKO Tierschutz im vergangenen Jahr geschlossen.
Aktuell steht zudem die Niendorfer Landerzeuger GmbH, ein Großbetrieb aus Mecklenburg-Vorpommern, nach einer Recherche von ARWIA – Animal Rights Watch in der Kritik. Die Aufnahmen zeigen Kühe, die in ihrem Kot liegen, an offenen Wunden und Gelenkschwellen leiden sowie „Berge toter Kälber“.
Westfleisch stand im Zentrum der Aufmerksamkeit, als sich die längst bekannten Arbeits- und Lebensbedingungen der Arbeiter*innen der Tierindustrie in der medialen Öffentlichkeit zum Skandal entwickelten. Auslöser der Diskussionen waren die stark steigenden Infektionszahlen unter meist osteuropäischen Arbeiter*innen in deutschen Tierindustrie-Betrieben.
Manfred Götzke nahm diese Entwicklungen in seiner Reportage für den Deutschlandfunk in den Blick. Er lässt Stimmen zu Wort kommen, die uns auf dem Watchblog in den letzten Wochen immer wieder begegnet sind, aber auch solche, die für gewöhnlich nicht gehört werden beziehungsweise unterdrückt werden: die ausgebeuteten Arbeitskräfte selbst.
Nach dem Corona-Ausbruch im Vion-Schlachthof in Bad Bramstedt (Schleswig-Holstein) mit 140 infizierten Arbeiter*innen sind auch am Schlachthof in Groenloe in den Niederlanden unweit der deutschen Grenzen 147 Corona-Fälle registriert worden. Der Betrieb wurde daraufhin eingestellt. Wie in Bad Bramstedt sind größtenteils osteuropäische Werkvertragsbeschäftige, die in beengten Unterkünften leben und in überfüllten Bussen in die Betriebe gefahren werden, betroffen. Gut die Hälfte von ihnen ist aufgrund niedrigerer Mieten in Sammelunterkünften in Deutschland untergebracht.
Nur etwas mehr als fünfzig Kilometer entfernt wurde wenig später eine weitere Schlachtfabrik des Unternehmens aufgrund von Verstößen gegen Infektionsschutzauflagen geschlossen. Bei Polizeikontrollen wurden 17 Kleinbusse festgestellt, bei denen Arbeiter*innen aus Unterkünften ohne notwendige Sicherheitsabstände transportiert wurden. Offenbar kam auch hier zumindest ein Teil der Fahrzeuge aus Deutschland, wo viele Vion-Beschäftigte durch Subunternehmen untergebracht sind.
Vion ist eine der größten Schlacht- und Fleischverarbeitungsunternehmen Europas mit 27 Produktionsstandorten. Etwa 4.500 Beschäftigte sind direkt bei Vion angestellt, weitere 7.900 arbeiten über Subunternehmen für den niederländisch-deutschen Konzern.
Mittlerweile haben sich weit mehr als 1.000 Beschäftigte von Schlachthöfen und Fleischverarbeitungsbetrieben mit dem Coronavirus infiziert. Es sind insbesondere osteuropäische Werkvertragsarbeiter*innen, die aufgrund beengter Verhältnisse in den Fabriken, beim Transport zu den Arbeitsstätten und in den Wohnunterkünften einer Erkrankung an COVID-19 ausgeliefert sind.
Dennoch setzt Tönnies alles daran, die Produktion auf Hochtouren zu halten. Offenbar hat Deutschlands größter Fleischkonzern aufgegeben, Corona-Ausbrüche im Betrieb zu verhindern und fährt eine Strategie, Infektionsketten lediglich zu reduzieren und einzugrenzen. Der Konzern hatte hierfür kürzlich ein eigenes Testzentrum eröffnet, um betriebseigene Coronavirus-Testungen vornehmen zu können. Über „risikoorientierte Reihentestungen“ sollten Mitarbeiter*innen, die in Verdacht stünden, Kontakt zu Corona-Infizierten zu haben, an freiwilligen Corona-Tests teilnehmen, um Ausbrüche frühzeitig zu erkennen.
Dass diese Strategie Corona-Ausbrüche nicht verhindern kann und Infektionen sich in Windeseile in der Belegschaft verbreiten, zeigen aktuelle Fallzahlen des Standortes in Rheda-Wiedenbrück. Nachdem zwei Mitarbeiter*innen über eine Kirchengemeinde Kontakt zu Corona-Infizierten hatten, wurden alle 120 Mitarbeiter*innen der Abteilung getestet. Das Ergebnis: Bereits 18 Mitarbeiter*innen waren zu dem Zeitpunkt an COVID-19 erkrankt. Insgesamt sind seit Beginn der Massentestungen in der Unternehmensgruppe Mitte Mai 43 Personen erkrankt.
Die Produktion auch nur zu drosseln, um Abstandsgebote einzuhalten, schlägt Unternehmenschef Clemens Tönnies aus, schließlich gehe es nicht nur um den Schutz der Mitarbeiter*innen sondern auch um die „Versorgungssicherheit mit Fleisch und Wurst“.
Die Kritik am fehlenden Gesundheits- und Infektionsschutz bei Tönnies hält derweil an: Anfang Mai sorgte ein Video für Diskussionen, das Werkvertragsbeschäftigte ohne Mundschutz dicht gedrängt in einer Kantine zeigt. Zudem beobachtete das Bündnis gegen die Tönnies-Erweiterung in Rheda-Wiedenbrück während einer Demo vor den Werkstoren am 19. Mai, dass nach wie vor Arbeiter*innen in überfüllten Bussen zu den Produktionsanlagen gefahren werden.
Werden die angekündigten Arbeitsschutzmaßnahmen des Bundesarbeitsministerium so umgesetzt wie angedacht, wäre es tatsächlich ein Schlag gegen das ausbeuterische Geschäftsmodell der Fleischindustrie. Insbesondere die geplante Abschaffung von Werkverträgen für größere Schlacht- und Fleischverarbeitungskonzerne dürfte die Industrie vor erhebliche Herausforderungen stellen. Ob die Maßnahmen tatsächlich so umgesetzt werden ist ungewiss, ebenso ob sie zu einer Verbesserung der Situation der prekär beschäftigten Arbeiter*innen und zu einem verbesserten Gesundheitsschutz der Beschäftigten in Anbetracht der Corona-Epidemie führen. Das Thema Ausbeutung der Arbeiter*innen in der Fleischindustrie hat sich noch lange nicht erledigt.
Die Fleischindustrie kündigt Widerstand an:
Es ist mit heftigen Widerstand von den Konzernen und den Branchenverbände der Industrie zu rechnen. Der Zentralverband der Deutschen Geflügelwirtschaft (ZDG) sprach bereits im Vorfeld von einer „Diskriminierung“ und kündigte eine Verfassungsklage an. Der Verband der Fleischindustrie (VDF) zeigt sich ebenfalls empört, die Maßnahmen seien „vollkommen unangemessen“, eine „willkürliche Diskriminierung“ und es bleibe abzuwarten, „ob derartige Regelungen Bestand haben werden“.
Dass das Interesse der Industrie an Arbeitsschutzmaßnahmen mehr als gering ist, zeigen auch Ankündigungen, den Schlachtbetrieb notfalls ins Ausland zu verlagern, wo Arbeitsschutzstandards geringer seien. Entsprechend äußerten sich die ZDG, aber auch Clemens Tönnies, der in öffentlichen Stellungsnahmen bis zuletzt am System Werkvertrag festhielt. Tatsächlich halten Wirtschaftsminister oder die Gewerkschaft NGG derartige Schritte für unrealistisch, über derartige Verlautbarungen soll viel mehr Druck auf den Gesetzgeber ausgeübt werden.
Der Marschrichtung der Verbände und der Konzerne ist klar: Verbesserungen des Arbeitsschutzes werden nicht hingenommen, es wird geklagt und versucht, Einfluss auf die konkrete Umsetzung der geplanten Maßnahmen zu nehmen, um diese abzuwenden oder zumindest abzuschwächen. Ob die Fleischindustrie Erfolg hat, hängt letztendlich auch davon ab, wie hoch der öffentliche Druck ist.
Eine Absichtserklärung ist noch kein Gesetz:
Tatsächlich sind die vom Bundesarbeitsminister Heil und dem Regierungskabinett vorgeschlagenen Maßnahmen weitreichender als erwartet. Es bleiben aber Absichtserklärungen. Ob die Maßnahmen tatsächlich eins zu eins umgesetzt werden, darf bezweifelt werden. Die Fleischindustrie versteht es, ihr wirtschaftliches Kapital in politische Macht zu münzen und über Verbände und Lobbyisten effektiv Einfluss auf Gesetzgebungsverfahren zu nehmen.
In der Vergangenheit stand die Industrie nach Tierschutzskandalen des Öfteren unter heftiger Kritik. Die Bundesregierung und Ministerien versprachen Besserungen, bei tatsächlichen Initiativen wie dem Verbot der Kastenstände in der Schweinezucht oder dem Einsatz von Antibiotika in der Geflügelfleischindustrie wurden ursprüngliche Maßnahmen auf Druck der Industrie und des von Julia Klöckner geführten Landwirtschaftsministerium schnell wieder aufgeweicht. Ein weiterer Grund sich an dieser Stelle nicht vorschnell zurückzulehnen.
Gesetzliche Vorgaben wurden von der Fleischindustrie schon immer mit Füßen getreten:
Der Arbeitsschutz wurde in der Fleischindustrie schon immer unterlaufen. Vom Juli bis September 2019 wurden in 30 Großbetrieben in Nordrhein-Westfalen 8.752 Verstöße bei Kontrollen des Arbeitsschutzes festgestellt, allein 5.863 gegen die Arbeitszeit. 85 Prozent der Betriebe verstießen sogar gravierend gegen Auflagen, so das nordrhein-westfälische Arbeitsministerium. Nicht anders sieht es im Übrigen bei der Einhaltung von Tierschutzauflagen aus: Von 62 überprüften Schlachtbetrieben in Niedersachsen verstießen 58 gegen gesetzliche Vorgaben. Bei den Kontrollen von Ende 2018 bis Anfang 2020 fielen laut Landwirtschaftsministerium des Landes zudem 49 Schlachthöfe durch unzureichende Hygiene in den Produktionsstätten auf.
Der Fleischindustrie nutzt zudem rechtliche Graubereiche knallhart aus. Die Ausbeutung der Arbeiter*innen über Werkverträge und das systematische Unterlaufen des Mindestlohns ist hier das vielleicht prominenteste Beispiel. Aber auch im Bereich der Tierhaltung haben die Fleischkonzerne Geschäftsmodelle gefunden, um die Einhaltung von Tierschutzvorgaben zu umgehen und die damit verbundenen Kosten einzusparen. In der Geflügelfleischindustrie etwa haben Unternehmensgruppen wie PHW (Wiesenhof) oder Rothkötter die Zucht und die Mast von Hühnchen und Puten an sogenannte Vertragsmastbetriebe ausgelagert, um für die andauernden Tierschutzverstöße und elenden Haltungsbedingungen der Tiere nicht verantwortlich gemacht zu werden.
Von den Schlacht- und Fleischkonzernen zu erwarten, dass sie sich mit den neuen Arbeitsschutzmaßnahmen streng an Vorgaben halten, ist vor diesem Hintergrund schlichtweg illusorisch.
Der Schutz der Arbeiter*innen vor Corona-Ausbrüchen ist nicht geklärt:
„Zwölf-Stunden-Schichten an sechs Tagen die Woche, körperliche Schwerstarbeit unter ständigem physischen und psychischen Druck sowie Behausungen, die Erholung und Regeneration nicht zulassen, sondern die Gesundheit zusätzlich gefährden – solche Arbeits- und Lebensbedingungen liefern die Betroffenen und ihre Angehörigen wehrlos einer hochansteckenden Krankheit aus“, warnte Peter Kossen, der sich für die Rechte der Arbeiter*innen einsetzt zu Beginn der Corona-Krise.
Wie der konkrete Gesundheitsschutz der prekär beschäftigten Arbeiter*innen aktuell gewährleistet werden soll, ist auch nach der Ankündigung der Arbeitsschutzmaßnahmen des Bundes ungeklärt. Nach wie vor kommt es bei Schlachhöfen und Fleischverarbeitungsunternehmen zu großen Corona-Ausbrüchen. Die Unternehmen weigern sich, konkrete Maßnahmen umzusetzen, vor allem die Anlagen nach bestätigten Corona-Fällen zu schließen. Westfleisch in Dissen ließ die Produktion auch dann weiterlaufen, als es bereits 92 bestätigte Corona-Fälle gab. Wenige Tage später hatten sich 50 weitere Mitarbeiter*innen infiziert, Vion drohte bei Schließungen mit Klagen und auch bei Müller Fleisch oder Wiesenhof wurde die Produktion aufrecht erhalten.
Aktuell mögen die Infektionszahlen in Deutschland zurückgehen, steigen sie wieder oder gibt es gar eine zweite Welle der Epidemie, sind weitere Corona-Ausbrüche zu erwarten. Die Sammelunterkünfte müssen geschlossen, der Transport in beengten Bussen beendet und Anlagen heruntergefahren werden. Diese Forderungen müssen auch weiterhin in der Öffentlichkeit stark gemacht werden.
Die Bundesregierung hat vor diesem Hintergrund ein Maßnahmenpaket unter dem Titel „Arbeitsschutzprogramm für die Fleischwirtschaft“ vorgestellt. In den kommenden Monaten sollen zum Teil weiterreichende Maßnahmen wie ein Verbot der Anstellung von Arbeiter*innen über Werkverträge in größeren Schlacht- und Fleischbetrieben umgesetzt werden. Wie sich die Umsetzung gestaltet ist allerdings offen, da es sich bei dem 10-Punkte-Plan des Bundesarbeitsministerium größtenteils um Absichtserklärungen handelt.
Wir geben einen Überblick:
1. Stärkere Kontrollen: Die Durchsetzung des Arbeits-, Infektions- und Gesundheitsschutzes soll verstärkt werden. Arbeitsschutzverwaltungen, Zoll, Gesundheitsämter und Berufsgenossenschaften sollen hierfür stärker zusammenarbeiten und die „Überwachungsquote“ deutlich erhöht werden.
2. Verantwortung für Unterbringung und Infektionsschutz: Die Bundesregierung plant, Unternehmen beim Infektionsschutz am Arbeitsplatz und in Gemeinschaftsunterkünften stärker in die Verantwortung zu nehmen und will hierfür verbindliche Verpflichtungen erarbeiten.
3. Einschränkung von Werkverträgen: Ab kommenden Jahr sollen Unternehmen, deren Kerngeschäft das Schlachten und die Fleischverarbeitung ist, Arbeitnehmer*innen nicht mehr über Werkverträge und Arbeitnehmerüberlassungen anstellen. Es ist die mit Abstand weitreichendste Maßnahme, wobei handwerkliche Betriebe wie Schlachtereien oder Metzgereien vorerst ausgenommen werden sollen.
4. Kontrollen von Wohnunterkünften: Unternehmen, die Gemeinschaftsunterkünfte für Arbeiter*innen stellen, sollen diese den Behörden melden müssen, damit die Wohnbedingungen kontrolliert werden können.
5. Beratung für ausländische Beschäftigte: Die Bundesregierung plant das vom Deutschen Gewerkschaftbund (DGB) getragene Projekt ‚Faire Mobilität‘ und deren Beratungsangebote in verschiedenen Sprachen finanziell stärker zu unterstützen.
6. Digitale Arbeitszeiterfassung: Die Dokumentation der Arbeitszeit der Beschäftigten soll digitalisiert werden, um die gängige Überschreitung von Arbeitsschichten einzuschränken.
7. Höhere Bußgelder: Bei Verstößen gegen das Arbeitszeitgesetz sollen künftig Bußgelder in Höhe von 30.000 statt bisher 15.000 Euro fällig sein.
8. Durchsetzung des Versicherungsschutzes: Die Verwaltungen sollen künftig prüfen, ob Unfall- und Gesundheitsschutzversicherungen für alle Angestellten vorliegen.
9. EU-weiter Informationsaustausch: Im Falle von Corona-Infektionen ausländischer Beschäftigter soll die Bundesregierung die betreffenden Herkunftsländer informieren.
10. Studie zu Arbeitsbedingungen in der Fleischindustrie: Um die Kontrolle von Arbeits- und Arbeitsschutzrechten sowie Fleisch-, Hygiene- und Tierschutzvorschriften zu verbessern, wollen das Arbeits- und Sozialministerium gemeinsam mit dem Landwirtschaftsministerium eine Studie auflegen.
Ob die Maßnahmen tatsächlich zur Durchsetzung eines stärkeren Arbeits-, Gesundheits- und Infektionsschutzes beitragen ist allerdings ungewiss. Es ist gegenwärtig offen, ob sich alle Maßnahmen rechtlich verbindlich umsetzen lassen. Es ist zu erwarten, dass Schlacht- und Fleischkonzerne gegen diese Maßnahmen klagen werden und sich rechtliche Graubereiche zu Nutze machen, um Regelungen und Vorgaben zu umgehen. Und es ist alles andere als ausgeschlossen, dass die Regierung auf Druck der Industrielobby im weiteren Prozess Maßnahmen nicht wieder zurück nimmt. Wir bleiben am Ball!
Nach den heftigen Corona-Ausbrüchen in Coesfeld (264 Infizierte) und Oer-Erkenschwick (54 Infizierte) sind bei einem weiteren Westfleisch-Betrieb in Dissen (Niedersachsen) mindestens 92 Mitarbeiter*innen positiv auf das Coronavirus getestet worden. Bei Westcrown, einer von Westfleisch und Danish Crown im Joint Venture betriebenen Fleischverarbeitungsfabrik, sind eine Vielzahl von Werkvertragsbeschäftigten eingesetzt. „Unter ihnen sind zahlreiche Kräfte, die von Subunternehmen beschäftigt werden“, bestätigte der Landkreis Osnabrück, ebenso, dass viele der Betroffenen in Sammelunterkünften in den Landkreisen Osnabrück und Vechta in Niedersachsen sowie in Wesel, Steinfurt und Gütersloh untergebracht sind.
Nach den hohen Infektionszahlen in zahlreichen Betrieben der Fleischindustrie war im Rahmen von Testungen bei Schlachthöfen, Fleischverabreitungsbetrieben und Sammelunterkünften auch eine Aktion im Dissener Unternehmen erfolgt. Der Betrieb in Dissen wurde mittlerweile vorübergehend eingestellt.
(Bild: Protest der Initiative Stoppt Westfleisch gegen die Ausbeutung der Werkvertragsarbeiter*innen in der Fleischindustrie in Oer-Erkenschwick am 12.05.2020)
Nachdem der Tierindustrie im Zuge dramatischer Corona-Infektionen von Arbeiter*innen zurzeit ungewöhnlich viel öffentliche Aufmerksamkeit zuteil wird, will die Bundesregierung nun „aufräumen mit diesen Verhältnissen“, wie Arbeitsminister Hubertus Heil am Mittwoch im Bundestag gemeinsam mit Bundeskanzlerin Angela Merkel ankündigte. Die „erschreckenden“ und „beschämenden“ Lebens- und Arbeitsumstände der meist osteuropäischen Werkvertragsbeschäftigten bedürften strengeren Vorschriften, die am Montag beschlossen werden sollen.
Vielen mag diese plötzliche Sorge um die Arbeiter*innen opportun vorkommen. Die prekären Beschäftigungsverhältnisse und ausbeuterischen Geschäftsmodelle wurden schließlich seit Jahren und Jahrzehnten politisch gedeckt und gefördert. „Der Aktionismus der Bundesregierung mitten in der Coronakrise ist nichts als Heuchelei“, meint Norbert Lehmann von agrarheute.
Auch Georg Janßen, Bundesgeschäftsführer der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL), beklagt: „Seit Jahren liegen der Bundesregierung, dem Bundestag, allen Landesregierungen und den betroffenen Kommunen Berichte über unhaltbare Zustände vor. Bislang ergriffene Maßnahmen reichen nicht aus, systematisches Wegsehen und Weghören geht nicht mehr. […] Das System Billigfleisch kennt zu viele Verlierer.“ Die AbL fordert bereits seit langer Zeit arbeitsrechtliche Reformen in der Fleischindustrie.