Bundesagrarministerin Julia Klöckner verspricht seit Amtsbeginn, die Nutztierhaltung umzubauen. Für diesen Zweck hat sie 2019 die sogenannte Borchert-Kommission eingesetzt, deren offizielle Bezeichnung „Kompetenznetzwerk Nutztierhaltung“ lautet. Im Februar 2020 hat die Borchert-Kommission ihre Empfehlungen vorgelegt: eine zusätzliche Förderung der Tierwirtschaft in Höhe von 1,2 bis 3,6 Mrd. Euro jährlich bis 2040 zur Finanzierung von Tierwohl-Maßnahmen. Seitdem hat Julia Klöckner eine rasche Umsetzung der Empfehlungen zugesagt – den Worten sind bislang allerdings keine Taten gefolgt. In diesem Artikel stellen wir einige Hintergrundinformationen zur Borchert-Kommission zusammen, darunter: Welchen Auftrag hat die Borchert-Kommission? Wer ist in der Borchert-Kommission vertreten? Was passiert mit den Empfehlungen der Borchert-Kommission?
Welchen Auftrag hat die Borchert-Kommission?
Das BMEL hat der Borchert-Kommission folgende Aufgaben übertragen:
- „Die aktuellen Entwicklungen und Herausforderungen aus allen Bereichen der Nutztierhaltung zu analysieren und Lösungswege für das BMEL vorzuschlagen.
- Ansätze für die Verbesserung der gesellschaftlichen Akzeptanz der Nutztierhaltung in Deutschland aufzuzeigen und
- Ideen und Vorschlägen zur Weiterentwicklung und Umsetzung der Nutztierstrategie zu entwickeln und dem BMEL vorzuschlagen.“1
Ein zentraler Ausgangspunkt der Borchert-Kommission für diese Aufgaben ist nach eigenen Angaben, „dass die Nutztierhaltung in Deutschland eine nachhaltige wirtschaftliche Perspektive haben sollte“. Zu diesem Zweck soll ein „gesellschaftlicher Konsens für eine verbindliche Umorientierung in Richtung auf eine substantielle Erhöhung des Tierwohlniveaus bei möglichst geringen Umweltwirkungen“ erlangt werden.2
Warum wurde die Borchert-Kommission eingesetzt?
Die Borchert-Kommission knüpft an die Nutztierhaltungsstrategie des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) an, die der damalige Minister Christian Schmidt (CSU) im Juni 2017 vorgestellt hat. Die Union und SPD hatten die Nutztierhaltungsstrategie 2018 in ihren Koalitionsvertrag aufgenommen und beschlossen, diese fortan „Nutztierstrategie“ genannten Umbaupläne weiterzuentwickeln. Zu diesem Zweck hat Ministerin Klöckner (CDU), als Nachfolgerin von Minister Schmidt im BMEL, 2019 die Borchert-Kommission eingesetzt.3
Dass die „Nutztier“-Haltung in der Krise ist und weitreichende Probleme mit sich bringt, ist daher offensichtlich mittlerweile auch in konservativen Kreisen angekommen. Dabei darf nicht vergessen werden, dass die Union (CDU/CSU) in der bundesdeutschen Geschichte die längste Zeit das Bundesagrarministerium geführt hat, aktuell ununterbrochen seit 2005. Damit sind sie maßgeblich für das Zustandekommen der gegenwärtigen Zustände mitverantwortlich. Dieser Umstand muss benannt werden, wenn Ministerin Klöckner und die Union nun vorgeben, die Tierhaltung in Richtung mehr Tier- und Umweltschutz umbauen zu wollen.
Wer ist in der Borchert-Kommission vertreten?
Die Leitung der Borchert-Kommission liegt bei Jochen Borchert, ehemaliger Bundesagrarminister (CDU) sowie Präsident des Deutschen Jagdschutz-Verbandes (DJV) und Vorsitzender des Direktoriums für Vollblutzucht und Rennen e.V. Köln, und gegenwärtig noch Ehrenvorsitzender der Jägerstiftung natur+mensch.4 Durch seine Leitung hat sich der umgangssprachlicher Name „Borchert-Kommission“ etabliert.
Bei der Zusammensetzung des Gremiums hat das BMEL das Ziel verfolgt, dass „Entscheidungsträger und Fachleute aus Politik, Wissenschaft, Praxis, Wirtschaft und Verbänden“ vernetzt werden. Laut Geschäftsordnung setzt sich die Borchert-Kommission wie folgt zusammen5:
- 6 Vertreter der Länder,
- 6 Vertreter der Wissenschaft,
- 4 Vertreter der Tierhalter,
- 8 Vertreter der Wirtschaftsverbände,
- 4 Vertreter der Verbände des Verbraucher-, Tier- und Umweltschutzes und des Veterinärwesens,
- Vertreter des Bundesministeriums für Landwirtschaft und Ernährung (haben das Recht, sich zu den Tagesordnungspunkten zu äußern).
Konkret sind laut BMEL folgende Organisationen vertreten:
- Ministerium für Ländlichen Raum und Verbraucherschutz Baden-Württemberg
- Niedersächsisches Ministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz
- Ministerium für Landwirtschaft und Umwelt Mecklenburg-Vorpommern, Abteilung Landwirtschaft und ländliche Räume
- Bayerisches Staatsministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
- Ministerium für Energiewende, Landwirtschaft, Umwelt, Natur und Digitalisierung des Landes Schleswig-Holstein
- Ministerium für Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz des Landes Nordrhein-Westfalen
- Thünen Institut
- Friedrich-Loeffler-Institut
- Bundesforschungsinstitut für Tiergesundheit
- Universität Kassel
- Humboldt-Universität zu Berlin
- Tierärztliche Hochschule Hannover
- Georg-August-Universität Göttingen
- Deutscher Bauernverband
- Deutscher Raiffeisenverband
- Bundesverband Rind und Schwein
- Zentralverband der Deutschen Geflügelwirtschaft e.V.
- Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft – AbL
- Bundesverband des Deutschen Lebensmittelhandels
- Verband der Fleischwirtschaft
- Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft e.V.
- Bund der Deutschen Landjugend e.V.
- Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland e.V. (BUND)
- Bundestierärztekammer e.V.
- Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung
- Bundesinformationszentrum Landwirtschaft
- Bundesprogramm Nutztierhaltung
- Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft
- Sowie „Praktiker“ und „Betriebsleiter“
Ehemals eingeladen war der Deutsche Tierschutzbund, der in der konstituierenden Sitzung den Verzicht auf seine Teilnahme bekannt gab. Der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) war aktives Mitglied und verkündete am 11. Februar 2020 ebenfalls, seine Mitarbeit zu beenden.6
In der Öffentlichkeitsarbeit wird Julia Klöckner nicht müde zu betonen, dass die Borchert-Kommission dazu beitragen soll, einen gesellschaftlichen Konsens zu erarbeiten. Es ist nicht nachvollziehbar, wie angesichts dieser Zusammensetzung ein Konsens erreicht werden sollte, sind doch vor allem Profiteur*innen und Funktionär*innen vertreten und stellen Vertreter*innen der Zivilgesellschaft eine marginale Minderheit.
Wie arbeitet die Borchert-Kommission?
Die Borchert-Kommission konstituierte sich Anfang April 2019 auf Einladung von Bundesagrarministerin Julia Klöckner, die Arbeit nahm es am 9. Juli 2019 auf. Es verfügt über die Unterstützung einer Geschäftsstelle „Umsetzung des Bundesprogramms Nutzierhaltung“ (BUNTH), die die Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (BLE) in Bonn eingerichtet hat.7
Allzu viel weiteres ist allerdings nicht bekannt über die Arbeitsweise der Borchert-Kommission. Sie arbeitet sehr intransparent, ihre Termine werden nicht öffentlich angekündigt, Protokolle nicht zugänglich gemacht. Es ist unklar, wer die einzelnen Organisationen vertritt, welche Arbeitsgruppen eingesetzt wurden, wie die Entscheidungsfindung erfolgt. Es ist nicht nachvollziehbar, wie Julia Klöckner angesichts einer solch intransparenten Arbeitsweise einen gesellschaftlichen Konsens erarbeiten möchte.
Was empfiehlt die Borchert-Kommission?
Am 11. Februar 2020 veröffentlichte die Borchert-Kommission 20-seitige Empfehlungen an Ministerin Klöckner zur Weiterentwicklung der Nutztierstrategie des BMEL.8 Konkret schlägt die Borchert-Kommission sieben Maßnahmen vor, die zu einer vollständigen Überführung der deutschen Nutztierhaltung in Stufe 2 der geplanten Tierwohlkennzeichnung des BMEL führen sollen. Dabei sieht Stufe 2 (mit der Bezeichnung „verbesserte Ställe“) vor: „zusätzlicher Platz, Strukturierung, Klimazonen möglichst mit Kontakt zu Außenklima, teilweise Planbefestigung u. a., Neubauten mit Kontakt zum Außenklima, Umbauten möglichst mit Kontakt zu Außenklima“. Darüber hinaus soll auch in Stufe 3 („Premium“) ein „hinreichend großer“ Marktanteil erreicht werden.
Der vorgeschlagene Zeitplan sah noch im Jahr 2020 die Einführung einer staatlichen Tierwohlkennzeichnung bei Schweinen (2021 Erweiterung auf Geflügel, Verarbeitungseier, Rindfleisch und Milch), die Überarbeitung der Förderrichtlinien für Investitionsförderung und Tierwohlprämien, den Beschluss einer Finanzierungsstrategie für eine Erhöhung des Tierwohls durch den Deutschen Bundestag sowie den Start eines bundeseinheitlichen Tierwohl-Förderrahmens. Dieser Zeitplan ist als gescheitert anzusehen.
Darüber hinaus wurden für die Jahre 2025, 2030 sowie 2040 Meilensteine definiert:
- 2025: Einführung einer verpflichtenden Tierwohlkennzeichnung auf EU-Ebene sowie Ziele für die Tierwohlstufen:
- Schwein: Mindestens 50 % der Produktion in Stufe 1 oder höher. Mindestens 10 % in Stufe 2 oder höher.
- Eier, Geflügel, Milch und Rind: ähnlich wie für Schwein.
- 2030: Ziele für die Tierwohlstufen:
- Alle Tierarten: Stufe 1 gesetzlicher Mindeststandard.
- Schwein: Mindestens 40 % der Produktion in Stufe 2 oder höher.
- Eier, Geflügel, Milch und Rind: ähnlich wie für Schwein.
- 2040: Ziele für die Tierwohlstufen:
- Alle Tierarten: Stufe 2 wird gesetzlicher Mindeststandard.
- Marktanteil in Stufe 3 von mindestens 10 %.
Hinsichtlich der Finanzierung der Maßnahmen schätzt die Borchert-Kommission einen dauerhaften Bedarf von mehreren Mrd. Euro jährlich: 2025 1,2 Mrd. €, 2030 2,4 Mrd. € und 2040 3,6 Mrd. €. Offen blieb die Frage der Finanzierung. Die Borchert-Kommission hat mehrere Finanzierungsoptionen diskutiert und kommt zu der Einschätzung, dass eine mengenbezogene Abgabe auf tierische Produkte die bestgeeignete Lösung sei. Dabei verwies die Borchert-Kommission gleichzeitig darauf, dass es dafür noch einer externen Machbarkeitsstudie und Folgenabschätzung bedürfe.
Aus unserer Perspektive sind die Borchert-Empfehlungen gänzlich ungeeignet, die Probleme im Zusammenhang mit der „Nutztier“-Haltung zu beheben. Zum einen würden die vorgeschlagenen Maßnahmen den bestehenden Zustand in den Ställen für die Tiere nur minimal verändern – in diesem Kontext von „Tierwohl“ zu sprechen, ist an sich schon irreführend. Zum anderen ist eine Reduktion der Tierbestände in den Borchert-Empfehlungen nicht vorgesehen. Tatsächlich ist eine Umsetzung der Empfehlungen mit einer Beibehaltung der derzeitigen Bestände gut vereinbar und wird auch von einigen Akteur*innen gefordert.9 Vor diesem Hintergrund sind die Maßnahmen auch im Hinblick auf die Umweltschutzvorhaben als klar ungeeignet zu bewerten – ohne Abbau der Tierbestände ist die nötige deutliche Verringerung der Treibhausgasemissionen ebenso wenig machbar wie ein effektiver Umgang mit den vielen weiteren Umweltproblemen.
Was passiert mit den Empfehlungen der Borchert-Kommission?
Das Gremium hat beratende Funktion und soll vor allem dazu beitragen, einen gesellschaftlichen Konsens sicherzustellen. Die Empfehlungen sind daher nicht bindend, eine Umsetzung obliegt dem BMEL bzw. der Bundesregierung sowie dem Bundestag.
Am 04.07.2020 hat der Bundestag für die Umsetzung der Borchert-Empfehlungen gestimmt und der Bundesregierung den Auftrag erteilt, noch in dieser Legislaturperiode eine Strategie zur Umsetzung der Vorschläge zu erarbeiten und dem Bundestag vorzulegen.10
Daraufhin hat das BMEL eine Machbarkeitsstudie in Auftrag gegeben – allerdings erst Monate später, im Spätherbst 2020.11 Unterdessen arbeiteten die Arbeitsgruppen der Borchert-Kommission weiter an Details ihrer Umbauvorschläge, unter anderem an den „Tierwohl“-Kriterien. Ein vorgesehenes Arbeitstreffen der Borchert-Kommission am 12.02.2021, zu dem auch eigentlich die Machbarkeitsstudie vorliegen sollte, wurde jedoch vom BMEL auf unbestimmte Zeit verschoben. Am 20. Februar 2021 hat das BMEL nun eine Veröffentlichung der Machbarkeitsstudie bis zum 02. März in Aussicht gestellt.12
Aufgrund der verzögerten Auftragsvergabe für die Erarbeitung der Machbarkeitsstudie und einer erneuten Verzögerung bei der Veröffentlichung der Ergebnisse der Studie wurde das BMEL von verschiedenen Seiten kritisiert.1314 Auch von den Bundesländern: So hat das Land Niedersachsen inzwischen eine Entschließung in den Bundesrat eingebracht, die den Bund auffordert, noch vor der Bundestagswahl erste Schritte zur Umsetzung der Borchert-Empfehlungen umzusetzen – der Bundesrat soll am 5. März darüber entscheiden.15
Quellen und weitere Informationen
1 https://www.bmel.de/DE/themen/tiere/nutztiere/umbau-nutztierhaltung.html
2 https://www.bmel.de/SharedDocs/Downloads/DE/_Tiere/Nutztiere/200211-empfehlung-kompetenznetzwerk-nutztierhaltung.pdf?__blob=publicationFile&v=2
3 https://www.topagrar.com/management-und-politik/news/kloeckner-holt-ex-agrarminister-borchert-ins-bmel-10561277.html
4 https://www.jaegerstiftung.de/ueber-uns/menschen
5 Quelle: E-Mail vom 13.01.2021
6 https://www.vzbv.de/pressemitteilung/borchert-komission-gute-vorschlaege-keine-ueberzeugende-finanzierung
7 https://www.ble.de/SharedDocs/Meldungen/DE/2019/190403_Kompetenznetzwerk-Nutztierhaltung.html
8 https://www.bmel.de/SharedDocs/Downloads/DE/_Tiere/Nutztiere/200211-empfehlung-kompetenznetzwerk-nutztierhaltung.pdf?__blob=publicationFile&v=2
9 https://docplayer.org/198428091-Memorandum-des-agrar-und-ernaehrungsforums-oldenburger-muensterland-e-v-zu-den-borchert-empfehlungen.html
10 https://www.topagrar.com/schwein/news/borchert-kommission-bundestag-stimmt-fuer-umbau-der-tierhaltung-12103877.html
11 https://www.wochenblatt-dlv.de/politik/borchert-kommission-kritik-verspaeteter-studie-564280
12 https://www.bmel.de/SharedDocs/Meldungen/DE/Presse/2021/210220-machbarkeitsstudie.html
13 https://www.topagrar.com/management-und-politik/news/cdu-und-spd-setzen-in-der-agrarpolitik-auf-attacke-12443524.html
14 https://www.topagrar.com/schwein/news/tierschutzbund-warnt-vor-verzoegerungen-beim-umbau-der-tierhaltung-12488578.html
15 https://www.topagrar.com/schwein/news/bmel-erwartet-machbarkeitsstudie-in-den-naechsten-zehn-tagen-12484360.html
Beitragsbild: Bundesministerin Julia Klöckner bei konstituierender Sitzung des Kompetenznetzwerk Nutztierhaltung Bonn. © BMEL