Watchblog Tierindustrie: Themenseite Corona-Ausbrüche in der Fleischindustrie

Corona-Ausbrüche in Schlachthöfe und Fleischverarbeitungsbetrieben, Kritik der Arbeitsbedingungen von Werkvertragsbeschäftigten und fehlender Gesundheits- und Infektionsschutz in den Unternehmen. Hier findet ihr alle Artikel des Watchblogs Tierindustrie zum Thema:

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Nachdem die erste Welle heftiger Corona-Ausbrüche in Schlacht- und Fleischbetrieben im Sommer abgeklungen war, haben sich in den letzen Tagen wieder hunderte Schlachthofarbeiter*innen, vor allem Werkvertragsbeschäftigte, mit dem Corona-Virus infiziert.

Beim Fleischverarbeiter Allfrisch in Emsdetten (Landkreis Steinfurt) mussten 300 Beschäftigte in Quarantäne, nachdem 77 Arbeiter*innen positiv auf das Corona-Virus getestet wurden. Am Standort werden täglich 20.000 Puten verarbeitet. Der Betrieb gehört zur Sprehe-Gruppe, die mit der Geflügelfleischproduktion einen Umsatz von 780 Mio. Euro erwirtschaftet. Der Konzern stand in den vergangenen Jahren mehrfach aufgrund der Ausbeutung von Arbeiter*innen und Tierquälerei in der Kritik. 2013 prellte ein Subunternehmer hunderte Werkvertragsbeschäftigte um ihren Lohn und strich mindestens 3,3 Mio. Euro ein. Der Konzern wollte nicht gewusst haben, „wie dieser Vertragspartner seine Leistung organisiert“ und sah sich in Emsdetten mit Protesten konfrontiert. 2015 berichtete der Spiegel über Verstöße gegen Tierschutzauflagen in sechs Mastanlagen der Sprehe-Gruppe, nachdem PETA Deutschland Recherchen in den Betrieben durchführte.

Beim Tönnies-Schlachthof Weidemark in Sögel (Landkreis Emsland) wurden Anfang Oktober 112 Corona-Fälle gemeldet. 2.000 Arbeiter*innen sind hier beschäftigt, ein Großteil Werkvertragsarbeiter*innen aus Rumänien. Tönnies investierte zuletzt 60 Mio. Euro in den Schlachthof, um die Exportkapazität des Konzerns zu erhöhen. Aus Sögel wird vor allem Fleisch nach China verkauft. Der Landkreis reagierte auf den Corona-Ausbruch mit einer Einschränkung des öffentlichen Lebens, so wurden Veranstaltungen und der Schulsport in Sögel untersagt. Nachdem die Produktion zunächst nur geringfügig eingeschränkt wurde, verfügte der Landrat eine Schließung des Schlachthofs für mindestens drei Wochen, um eine weitere Ausbreitung des Virus zu verhindern. Tönnies geht mittlerweile gerichtlich gegen die Infektionsschutzmaßnahme vor und spricht von einem unverhältnismäßigem Vorgehen.

Ebenfalls von einem Corona-Ausbruch betroffen ist der Schlachtkonzern Vion. 63 positiv getestete Mitarbeiter*innen vermeldete der deutsch-niederländische Konzern am Standort Emstek (Landkreis Cloppenburg). Vion musste im April den Schlachthof Bad Bramstedt vorübergehend schließen und geriet aufgrund der Behandlung und Unterbringung der Werkvertragsarbeiter*innen in die Kritik. Auch in den Niederlanden wurden zwei Schlachthöfe vorübergehend geschlossen, unter anderem weil Vion gegen Corona-Schutzauflagen verstieß und Mitarbeiter*innen in überfüllten Kleinbussen in die Schlachtfabriken transportieren ließ.

Auch die kontinuierlichen Massentestungen der Beschäftigten, die von Landesregierungen und teils von den Unternehmen selbst verfügt wurden, konnten offenbar nicht verhindern, dass es zu den erneuten Massenausbrüchen kam. Einmal im Betrieb, breitet sich das Corona-Virus offenbar rasant aus. Neben den widrigen Arbeitsbedingungen und den beengten Wohnverhältnissen der Werktragsbeschäftigten sind es laut Medizinern auch die konstant kalten Temperaturen der Arbeitsstätten, die eine Ausbreitung begünstigten. Zudem erhöhten mehrere Schlachtbetriebe, darunter der Tönnies-Schlachthof in Sögel, die Produktion, um die Reduzierung der Kapazitäten aufgrund früherer Corona-Ausbrüche aufzufangen.

Unter diesen Bedingungen ist es nur eine Frage der Zeit, bis weitere Meldungen über Corona-Ausbrüche in Fleischbetrieben Schlagzeilen machen.

Quellen und weitere Informationen

08.10.2020, WDR: Nach Corona-Ausbruch: Auflagen für Emsdettener Geflügel-Betrieb

08.10.2020, AgrarHeute.de: Tönnies muss Schlachthof Sögel für 22 Tage schließen

07.10.2020, TopAgrarOnline: Neue Ansteckungswelle – 63 Arbeiter im Vion-Schlachthof Emstek mit Corona infiziert

Nachdem die Bundesregierung angesichts der Corona-Ausbrüche unter Arbeiter*innen in der Fleischindustrie ein Arbeitsschutzprogramm angekündigt hatte, beschloss sie nun vergangene Woche einen Gesetzesentwurf unter dem Titel „Gesetz zur Verbesserung des Vollzugs im Arbeitsschutz“ (kurz „Arbeitsschutzkontrollgesetz“).

Der Entwurf muss erst noch von Bundestag und Bundesrat beschlossen werden, bevor er in Kraft treten kann – es bleibt also abzuwarten, wie das Gesetz schließlich aussehen wird. Und was die Tierindustrie in der Praxis daraus machen wird, steht noch einmal auf einem anderen Blatt. Unsere Analyse, die wir Ende Mai veröffentlicht hatten, ist hier nachzulesen: Verbot von Werkverträgen, Kontrollen, höhere Bußgelder. Die Maßnahmen des Arbeitsschutzprogramms für die Fleischindustrie im Überblick.

Spannend sind nun die Äußerungen vonseiten der Lobbyverbände der Tierindustrie, die wiederum ihre Macht zur Geltung bringen wollen, damit das Gesetz möglichst zahnlos wird und sie weiterhin die Arbeiter*innen ausbeuten können. Nachfolgend einige Beispiele von Branchenvertretungen.

Zentralverband der Deutschen Geflügelwirtschaft

Der Zentralverband der Deutschen Geflügelwirtschaft (ZDG) schreibt in einer Pressemitteilung am Tag der Bekanntgabe:

Wir sind erschüttert, mit welcher wirtschaftsfeindlichen Ideologie Bundesarbeitsminister Hubertus Heil mit seinem Entwurf eines Arbeitsschutzkontrollgesetzes die in unserem Rechtsstaat geltenden ökonomischen und juristischen Grundlagen komplett über Bord geworfen hat. Das über die Werkverträge hinaus gehende Verbot der Arbeitnehmerüberlassung und der Unternehmenskooperation ist unverhältnismäßig, mit heißer Nadel gestrickt – und gefährdet Arbeitsplätze! Die Bundesregierung nimmt in nie dagewesener Art und Weise einer einzelnen Branche rechtsstaatlich zugesicherte, marktwirtschaftliche Grundprinzipien weg.“ Und: „Wir appellieren an die Vernunft und Sachlichkeit der Abgeordneten des Deutschen Bundestages, im weiteren Gesetzgebungsverfahren diese Fehler zu korrigieren!

Wie dieser Appell an die Bundestagsabgeordneten aussieht, davon berichtet der ZDG in einer vorhergehenden Pressemitteilung: Mit „Politischen Frühstücken“, die in Zeiten von Corona als Videokonferenz durchgeführt werden, führt das ZDG sogenannte Hintergrundgespräche mit Abgeordneten durch: „Gefrühstückt wurde aber natürlich trotzdem: Der ZDG hatte den rund 25 teilnehmenden Mitgliedern des Bundestags und wissenschaftlichen Mitarbeitern jeweils ein „Frühstücks-Carepaket“ mit Chicken Bagel und Frühstücksei in die Büros liefern lassen.“

Der ZDG vertritt nach eigenen Aussagen die Interessen der deutschen Geflügelwirtschaft, unter den rund 8.000 Mitgliedern ist auch die PHW-Gruppe.

Verband der Fleischwirtschaft

Der Verband der Fleischwirtschaft (VDF) beschwert sich über massive Eingriffe „in die gesellschaftsrechtlichen Strukturen der Unternehmen“ und meldet europa- und verfassungsrechtliche Bedenken an. Der Entwurf des Arbeitsschutzkontrollgesetzes sei lediglich ein „Werkvertragsverbotsgesetzt“ und habe „mit Arbeitsschutz absolut nichts zu tun“.

Interessengemeinschaft der Schweinehalter Deutschlands

Die Interessengemeinschaft der Schweinehalter Deutschlands (ISN) verweist darauf, „dass bei den neuen Regelungen nicht überzogen werden darf“. Man werde Arbeitsschutzmaßnahmen nicht verweigern, solange „die Kapazitäten für die Schlachtung und Zerlegung“ nicht darunter litten: „Sonst droht ein fataler Strukturbruch, nicht nur in der Fleischwirtschaft, sondern auch in der gesamten Veredlungswirtschaft.“

agrarheute

Der Chefredakteur des Branchenmagazins agrarheute Simon Michel-Berger schreibt: „Mit Arbeitsschutz in Corona-Zeiten hat das nicht viel zu tun, eher mit einer Treibjagd auf einen gefühlten Bösewicht.“ Er spricht von „schwarzen Schafen“, und dass für die Corona-Ausbrüche nicht die prekären Arbeits- und Lebensbedingungen der Arbeiter*innen ursächlich seien, sondern lediglich die Lüftungsanlagen, die sich, „das nötige Kleingeld vorausgesetzt, […] mit Virenfiltern nachrüsten“ ließen. Mit Blick auf die eben diese aus seiner Sicht eigentlich nötigen Nachrüstungen der Lüftungsanlagen schreibt er:

Aber das interessiert Arbeitsminister Hubertus Heil anscheinend gar nicht. Was den Minister dagegen interessieren dürfte, sind die Klagen, die gegen sein Gesetz seitens der Fleischindustrie zu erwarten sind.

Fazit

Die Reaktionen der Lobbyorganisationen zeigen deutlich, was die Tierindustrie von dem Vorstoß der Bundesregierung hält: nämlich überhaupt nichts, wie nicht anders zu erwarten war. Sie werden jetzt ihre geballte Lobby-Macht daran setzen, Abschwächungen in Bundestag und Bundesrat zu erwirken. Und dabei werden sie nicht nur auf „Politische Frühstücke“ angewiesen sein: wie wir in einem früheren Watchblog-Beitrag geschildert hatten, sind 85 Prozent der CDU/CSU-Abgeordneten direkt mit der Land- und Agrarwirtschaft in Verbindung zu bringen.


Weitere Informationen:

01.07.2020, Zentralverband der Deutschen Geflügelwirtschaft: Geflügelwirtschaft will Tarifvertrag für die ganze Branche: „Setzen auf starke Sozialpartnerschaft und Flexibilität“

29.07.2020, Zentralverband der Deutschen Geflügelwirtschaft: „Der Gesetzentwurf ist unverhältnismäßig, mit heißer Nadel gestrickt – und gefährdet Arbeitsplätze!“

29.07.2020, Interessengemeinschaft der Schweinehalter Deutschlands: Bundeskabinett stimmt Änderung des Arbeitsschutzkontrollgesetzes zu

29.07.2020, Verband der Fleischwirtschaft: Gesetzentwurf zur Verbesserung des Vollzugs im Arbeitsrecht – Verbot von Werkverträgen in der Fleischwirtschaft

29.07.2020, AgrarHeute: Lex Fleischindustrie – Bundeskabinett schießt übers Ziel hinaus

03.08.2020, Bundesverband Rind und Schwein: Werkvertragsverbotsgesetz: „Zerschlagung der kleinen und mittelständischen Strukturen der Fleischwirtschaft“

Angesichts der nicht aufhörenden Serie an Corona-Ausbrüchen in Schlachthöfen und dem massiven Ausbruch bei Tönnies in Rheda-Wiedenbrück mit inzwischen über 1.500 infizierten Arbeiter*innen sind Maßnahmen zur Begrenzung der Verbreitung des Virus dringend erforderlich.

Klar ist: die effektivste Maßnahme ist die Schließung der Schlachthöfe, wie es auch aktuell unter anderem mit dem Tönnies-Schlachthof in Rheda-Wiedenbrück erfolgt. Denn sowohl die Arbeitsbedingungen in den Betrieben als auch die Unterbringung der Arbeiter*innen sind so unzureichend, dass die nötigen Abstands- und Hygienevorgaben nicht umsetzbar sind.

Jedoch werden längst nicht alle Schlachthöfe mit Corona-Fällen geschlossen und für die restlichen werden Wiedereröffnungspläne erarbeitet. Wie sehen die Maßnahmen von Industrie und Staat aus?

Arbeitsrechtsreformen

Große Aufmerksamkeit erhält das angekündigte Arbeitsschutzprogramm für die Fleischwirtschaft unter anderem mit einem Verbot von Werkverträgen. Ob und wenn ja wie diese Maßnahmen überhaupt umgesetzt werden, wird sich zeigen. Eins ist klar: die Maßnahmen sollen erst ab kommendem Jahr greifen. Angesichts des jetzt grassierenden Corona-Virus braucht es allerdings sofortige Maßnahmen.

Corona-Tests

In Nordrhein-Westfalen, einem Zentrum der deutschen Tierindustrie und mit Tönnies auch ein Zentrum der Corona-Ausbrüche, müssen Schlacht- und Zerlegebetriebe mit mehr als 100 Arbeiter*innen mindestens zweimal je Woche die komplette Belegeschaft testen. Laut Verband der Fleischwirtschaft bedeutet dies für die Fleischunternehmen monatliche Kosten pro Arbeiter*in von bis zu 320 € – angesichts der extrem niedrigen Personalkosten aufgrund der massiven Ausbeutung der Arbeiter*innen deutliche Mehrkosten.

In anderen Bundesländern gilt bislang keine regelmäßige, verpflichtende Testung aller Arbeiter*innen. So werden in Bayern in ausgewählten Fleischbetrieben massenhaft Tests durchgeführt, in Schleswig-Holstein müssen in bestimmten Betrieben neu ankommende Arbeiter*innen getestet werden, und Sachsen-Anhalt wiederum setzt auf freiwillige Tests.

Belüftung

Darüber hinaus prüfen einige Betriebe Nachrüstungen von Filtern bei der Belüftung, die zu einer verminderten Verbreitung des Virus beitragen sollen. Inwiefern das tatsächlich eine Rolle spielt, ist allerdings bislang nicht gesichert.

Es braucht eine Schließung der Schlachthöfe!

All diese Maßnahmen, die die Tierindustrie und der ihr seit jeher eng verbundene Staat nun auf den Weg bringen oder zumindest verkünden, greifen jedoch massiv zu kurz und gehen am eigentlichen Problem vorbei: der enormen Ausbeutung von Menschen, Tieren und der Umwelt, die die Grundlagen der Tierindustrie bildet und auch maßgeblich für die Corona-Ausbrüche verantwortlich ist.

Angesichts der anhaltenden Corona-Ausbrüche muss der Einstieg in eine umfassende Agrarwende in Angriff genommen werden. Eine Agrarwernde hin zu einer solidarischen und ökologischen Produktionsweise, die nicht auf Kosten anderer fühlender Individuen erfolgt und nicht am Gewinn orientiert ist! Dabei müssen natürlich die Arbeiter*innen und die Landwirt*innen miteinbezogen werden und gemeinsam Organisationskonzepte erarbeitet werden, um gute und faire Arbeitsplätze für alle zu gewährleisten und Ernährungssouveränität zu erreichen.

Weitere Informationen:

01.07.2020, Fleischwirtschaft.de: Corona-Tests: Keine einheitliche Linie

03.07.2020, Fleischwirtschaft.de: Coronatests: Hohe Kosten belasten die Branche

Mehr als 1.000 Tönnies-Beschäftigte aus dem Hauptwerk in Rheda-Wiedenbrück haben sich mit dem Coronavirus infiziert. Es ist der bisher größte Corona-Ausbruch in Deutschland und wieder stehen die Arbeits- und Lebensbedingungen der Arbeiter*innen in der Fleischindustrie im Fokus der öffentlichen Aufmerksamkeit.

Die Gewerkschaftslinke Hamburg hat über die systematische Ausbeutung und Erniedrigung der meist osteuropäischen Werkvertragsarbeiter*innen, das Geschäftsmodell des Subunternehmertums und die wiederholten Corona-Ausbrüche in der Fleischindustrie einen mehr als spannenden Sammelband herausgegeben.

Das Buch versammelt Beiträge von Peter Kossen (Pfarrer, Verein Würde und Gerechtigkeit), von Mitarbeiter*innen von Arbeitsrechtsinitiativen und Gewerkschaften, von Aktiven aus lokal engagierten Bürger*inneninitiativen und Unterstützer*innenkreisen für die Beschäftigten und vielen weiteren.

Die Herausgeber*innen stellen unmissverständlich klar: „Wichtigstes Ziel unserer Publikation ist es, die aktuelle Offenlegung der Missstände zu nutzen, um endlich das Werksvertrags- und Subunternehmerunwesen zu beenden.“

Jour Fixe Gewerkschaftslinke Hamburg [Hg.]
Das Schweinesystem
Aufhebung der Werkverträge und des Subunternehmertums!
Verlag: Die Buchmacherei
ISBN: 978-3-9822036-0-7

Weitere Informationen:

  • Verlagsinformationen und Bestellung: diebuchmacherei.de
  • Nicht nur Clemens Tönnies steht am Pranger, sondern auch das „System Tönnies“ – Bericht über die Pressekonferenz und Buchvorstellung am 18.06.2020 in Rheda-Wiedenbrück auf der Homepage der Gewerkschaftslinken Hamburg

Ein Video aus der Tönnies-Fleischfabrik Rheda-Wiedenbrück zeigt eine überfüllte Kantine. Der Mindestabstand kann nicht eingehalten werden. Eine Stimme kommentiert, während die Kamera in der Halle skandalöse Bilder aufnimmt: „Tausende von Menschen sitzen alle an einem Tisch. Das ist Tönnies. Wie sollen wir uns hier schützen?“

Nachdem der Konzern verlauten ließ, das Video sei vor Einführung der Pandemieverordnungen in Nordrhein-Westfalen entstanden, konnten die Recherchen des SWR das Video auf den 8. April datieren. Zu diesem Zeitpunkt hätte die Kantine nicht betrieben werden dürfen, da die Auflagen zum Schutz der Beschäftigten nicht gewährleistet werden konnte.

Das verantwortungslose Verhalten des Tönnies-Konzerns sorgte für mittlerweile über 650 Infektionen im Standort Rheda-Wiedenbrück. Schulen und Kitas mussten daher bereits auf ein Minimum reduzieren. An Schuldzuweisungen mangelte es nicht: Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) gab den Beschäftigten die Verantwortung, denn die „Bulgaren und Rumänen“ seien schließlich angesichts der Grenzöffnungen sicher alle in Heimaturlaub gefahren und hätten das Virus von dort mitgebracht.

18.06.2020, tagesschau.de
Corona-Ausbruch bei Tönnies: Video zeigt Hygieneverstöße

18.06.2020, tagesschau.de
Corona-Fälle bei Tönnies: Der Schlachthof wird zum Politikum

18.06.2020, tagesschau YouTube
Corona-Ausbruch in Tönnies-Schlachtbetrieb in NRW

Bild: Ausschnitt aus geleaktem Video

Es ist nicht der erste Corona-Ausbruch bei Deutschlands größtem Fleischkonzern Tönnies. 400 Mitarbeiter*innen des Tönnies-Schlachthofs in Rheda-Wiedenbrück haben sich laut Angaben des Landkreises Gütersloh seit Anfang der Woche infiziert. In der vergangenen Woche waren es bereits 130 Infizierte.

Seit langem werden Tönnies und andere Schlachtkonzerne kritisiert, dass der Infektionsschutz der Arbeiter*innen kaum umgesetzt werden könne. Dies betrifft sowohl die Unterbringung prekär beschäftigter Werkvertrags- und Leiharbeiter*innen sowie deren Transport in oftmals überfüllten Bussen als auch die Arbeitsbedindungen in den Schlachthöhen und Fleischverarbeitungsfabriken. Akkordarbeit, hunderte Arbeiter*innen in den Zerlegehallen und kaum einzuhaltende Abstandsgebote begünstigen die Ausbreitung des Coronavirus unter den Beschäftigten. So auch im aktuellen Fall: Alle Mitarbeiter*innen haben sich im Betrieb angesteckt.

Tönnies machte in den vergangenen Wochen wiederholt klar, dass man nicht bereit sei, die Produktion auch nur zu drosseln. Die Gefahr von Infektionsketten in den Fabriken wurde mit Verweis auf eine vermeintliche Versorgungssicherheit der Bevölkerung hingenommen. Corona-Ausbrüche sollten durch konzerneigene Reihentestungen nur noch eingegrenzt werden.

Im Angesicht des erneuten Ausbruchs und neuer Kritik aus der Öffentlichkeit sieht sich Tönnies nun allerdings gezwungen, die Produktion am Standort in Rheda-Wiedenbrück herunterzufahren und weniger Arbeiter*innen in den Schichten einzusetzen. Der Landkreis Gütersloh gab sich zunächst mit diesen Ankündigungen zufrieden und nachdem hunderte neue Infektionen festgestellt wurden, wird der Standort voraussichtlich geschlossen. Schulen und Kitas müssen aufgrund des Ausbruchs ab Donnerstag auf unbestimmte Zeit schließen.

Quellen und weitere Informationen:

17.06.2020, Tagesschau: 400 Corona-Infektionen in Fleischfabrik

16.06.2020, TopAgrar: 46 neue Corona-Fälle: Tönnies muss Produktion absenken

16.06.2020, WDR: Tönnies muss Produktion absenken

28.05.2020, Watchblog Tierindustrie: Tönnies riskiert weiter Corona-Ausbrüche

Bild: Protest des Bündnisses gegen die Tönnies-Erweiterung in Rheda-Wiedenbrück am 19. Mai 2020

Westfleisch stand im Zentrum der Aufmerksamkeit, als sich die längst bekannten Arbeits- und Lebensbedingungen der Arbeiter*innen der Tierindustrie in der medialen Öffentlichkeit zum Skandal entwickelten. Auslöser der Diskussionen waren die stark steigenden Infektionszahlen unter meist osteuropäischen Arbeiter*innen in deutschen Tierindustrie-Betrieben.

Manfred Götzke nahm diese Entwicklungen in seiner Reportage für den Deutschlandfunk in den Blick. Er lässt Stimmen zu Wort kommen, die uns auf dem Watchblog in den letzten Wochen immer wieder begegnet sind, aber auch solche, die für gewöhnlich nicht gehört werden beziehungsweise unterdrückt werden: die ausgebeuteten Arbeitskräfte selbst.

31.05.2020, deutschlandfunk Kultur:

Osteuropäische Arbeitskräfte in Deutschland: „Sie behandeln uns wie Sklaven“ (auch auf vielen Podcast-Plattformen zu hören)

Nach dem Corona-Ausbruch im Vion-Schlachthof in Bad Bramstedt (Schleswig-Holstein) mit 140 infizierten Arbeiter*innen sind auch am Schlachthof in Groenloe in den Niederlanden unweit der deutschen Grenzen 147 Corona-Fälle registriert worden. Der Betrieb wurde daraufhin eingestellt. Wie in Bad Bramstedt sind größtenteils osteuropäische Werkvertragsbeschäftige, die in beengten Unterkünften leben und in überfüllten Bussen in die Betriebe gefahren werden, betroffen. Gut die Hälfte von ihnen ist aufgrund niedrigerer Mieten in Sammelunterkünften in Deutschland untergebracht.

Nur etwas mehr als fünfzig Kilometer entfernt wurde wenig später eine weitere Schlachtfabrik des Unternehmens aufgrund von Verstößen gegen Infektionsschutzauflagen geschlossen. Bei Polizeikontrollen wurden 17 Kleinbusse festgestellt, bei denen Arbeiter*innen aus Unterkünften ohne notwendige Sicherheitsabstände transportiert wurden. Offenbar kam auch hier zumindest ein Teil der Fahrzeuge aus Deutschland, wo viele Vion-Beschäftigte durch Subunternehmen untergebracht sind.

Vion ist eine der größten Schlacht- und Fleischverarbeitungsunternehmen Europas mit 27 Produktionsstandorten. Etwa 4.500 Beschäftigte sind direkt bei Vion angestellt, weitere 7.900 arbeiten über Subunternehmen für den niederländisch-deutschen Konzern.

Quellen und weitere Informationen:

28.05.2020, Spiegel Online
Erneut Vion-Fleischfabrik in den Niederlanden stillgelegt

25.05.2020, RTL:
Corona-Ausbruch in niederländischem Schlachthof nahe deutscher Grenze

13.05.2020, NDR
Vion: ein internationaler Fleischproduzent

Mittlerweile haben sich weit mehr als 1.000 Beschäftigte von Schlachthöfen und Fleischverarbeitungsbetrieben mit dem Coronavirus infiziert. Es sind insbesondere osteuropäische Werkvertragsarbeiter*innen, die aufgrund beengter Verhältnisse in den Fabriken, beim Transport zu den Arbeitsstätten und in den Wohnunterkünften einer Erkrankung an COVID-19 ausgeliefert sind.

Dennoch setzt Tönnies alles daran, die Produktion auf Hochtouren zu halten. Offenbar hat Deutschlands größter Fleischkonzern aufgegeben, Corona-Ausbrüche im Betrieb zu verhindern und fährt eine Strategie, Infektionsketten lediglich zu reduzieren und einzugrenzen. Der Konzern hatte hierfür kürzlich ein eigenes Testzentrum eröffnet, um betriebseigene Coronavirus-Testungen vornehmen zu können. Über „risikoorientierte Reihentestungen“ sollten Mitarbeiter*innen, die in Verdacht stünden, Kontakt zu Corona-Infizierten zu haben, an freiwilligen Corona-Tests teilnehmen, um Ausbrüche frühzeitig zu erkennen.

Dass diese Strategie Corona-Ausbrüche nicht verhindern kann und Infektionen sich in Windeseile in der Belegschaft verbreiten, zeigen aktuelle Fallzahlen des Standortes in Rheda-Wiedenbrück. Nachdem zwei Mitarbeiter*innen über eine Kirchengemeinde Kontakt zu Corona-Infizierten hatten, wurden alle 120 Mitarbeiter*innen der Abteilung getestet. Das Ergebnis: Bereits 18 Mitarbeiter*innen waren zu dem Zeitpunkt an COVID-19 erkrankt. Insgesamt sind seit Beginn der Massentestungen in der Unternehmensgruppe Mitte Mai 43 Personen erkrankt.

Die Produktion auch nur zu drosseln, um Abstandsgebote einzuhalten, schlägt Unternehmenschef Clemens Tönnies aus, schließlich gehe es nicht nur um den Schutz der Mitarbeiter*innen sondern auch um die „Versorgungssicherheit mit Fleisch und Wurst“.

Die Kritik am fehlenden Gesundheits- und Infektionsschutz bei Tönnies hält derweil an: Anfang Mai sorgte ein Video für Diskussionen, das Werkvertragsbeschäftigte ohne Mundschutz dicht gedrängt in einer Kantine zeigt. Zudem beobachtete das Bündnis gegen die Tönnies-Erweiterung in Rheda-Wiedenbrück während einer Demo vor den Werkstoren am 19. Mai, dass nach wie vor Arbeiter*innen in überfüllten Bussen zu den Produktionsanlagen gefahren werden.

Weitere Informationen und Quellen:

28.05.2020, Die Glocke:
19 Corona-Fälle bei Tönnies in Rheda

12.05.2020, Handelblatt
Tönnies baut eigenes Testzentrum auf

05.05.2020, Die Glocke:
Tönnies: Video ruft Grüne auf den Plan

Bild: Protest des Bündnisses gegen die Tönnies-Erweiterung in Rheda-Wiedenbrück am 19. Mai 2020

United Against The Animal Industry

Werden die angekündigten Arbeitsschutzmaßnahmen des Bundesarbeitsministerium so umgesetzt wie angedacht, wäre es tatsächlich ein Schlag gegen das ausbeuterische Geschäftsmodell der Fleischindustrie. Insbesondere die geplante Abschaffung von Werkverträgen für größere Schlacht- und Fleischverarbeitungskonzerne dürfte die Industrie vor erhebliche Herausforderungen stellen. Ob die Maßnahmen tatsächlich so umgesetzt werden ist ungewiss, ebenso ob sie zu einer Verbesserung der Situation der prekär beschäftigten Arbeiter*innen und zu einem verbesserten Gesundheitsschutz der Beschäftigten in Anbetracht der Corona-Epidemie führen. Das Thema Ausbeutung der Arbeiter*innen in der Fleischindustrie hat sich noch lange nicht erledigt.

Die Fleischindustrie kündigt Widerstand an:

Es ist mit heftigen Widerstand von den Konzernen und den Branchenverbände der Industrie zu rechnen. Der Zentralverband der Deutschen Geflügelwirtschaft (ZDG) sprach bereits im Vorfeld von einer „Diskriminierung“ und kündigte eine Verfassungsklage an. Der Verband der Fleischindustrie (VDF) zeigt sich ebenfalls empört, die Maßnahmen seien „vollkommen unangemessen“, eine „willkürliche Diskriminierung“ und es bleibe abzuwarten, „ob derartige Regelungen Bestand haben werden“.

Dass das Interesse der Industrie an Arbeitsschutzmaßnahmen mehr als gering ist, zeigen auch Ankündigungen, den Schlachtbetrieb notfalls ins Ausland zu verlagern, wo Arbeitsschutzstandards geringer seien. Entsprechend äußerten sich die ZDG, aber auch Clemens Tönnies, der in öffentlichen Stellungsnahmen bis zuletzt am System Werkvertrag festhielt. Tatsächlich halten Wirtschaftsminister oder die Gewerkschaft NGG derartige Schritte für unrealistisch, über derartige Verlautbarungen soll viel mehr Druck auf den Gesetzgeber ausgeübt werden.

Der Marschrichtung der Verbände und der Konzerne ist klar: Verbesserungen des Arbeitsschutzes werden nicht hingenommen, es wird geklagt und versucht, Einfluss auf die konkrete Umsetzung der geplanten Maßnahmen zu nehmen, um diese abzuwenden oder zumindest abzuschwächen. Ob die Fleischindustrie Erfolg hat, hängt letztendlich auch davon ab, wie hoch der öffentliche Druck ist.

Eine Absichtserklärung ist noch kein Gesetz:

Tatsächlich sind die vom Bundesarbeitsminister Heil und dem Regierungskabinett vorgeschlagenen Maßnahmen weitreichender als erwartet. Es bleiben aber Absichtserklärungen. Ob die Maßnahmen tatsächlich eins zu eins umgesetzt werden, darf bezweifelt werden. Die Fleischindustrie versteht es, ihr wirtschaftliches Kapital in politische Macht zu münzen und über Verbände und Lobbyisten effektiv Einfluss auf Gesetzgebungsverfahren zu nehmen.

In der Vergangenheit stand die Industrie nach Tierschutzskandalen des Öfteren unter heftiger Kritik. Die Bundesregierung und Ministerien versprachen Besserungen, bei tatsächlichen Initiativen wie dem Verbot der Kastenstände in der Schweinezucht oder dem Einsatz von Antibiotika in der Geflügelfleischindustrie wurden ursprüngliche Maßnahmen auf Druck der Industrie und des von Julia Klöckner geführten Landwirtschaftsministerium schnell wieder aufgeweicht. Ein weiterer Grund sich an dieser Stelle nicht vorschnell zurückzulehnen.

Gesetzliche Vorgaben wurden von der Fleischindustrie schon immer mit Füßen getreten:

Der Arbeitsschutz wurde in der Fleischindustrie schon immer unterlaufen. Vom Juli bis September 2019 wurden in 30 Großbetrieben in Nordrhein-Westfalen 8.752 Verstöße bei Kontrollen des Arbeitsschutzes festgestellt, allein 5.863 gegen die Arbeitszeit. 85 Prozent der Betriebe verstießen sogar gravierend gegen Auflagen, so das nordrhein-westfälische Arbeitsministerium. Nicht anders sieht es im Übrigen bei der Einhaltung von Tierschutzauflagen aus: Von 62 überprüften Schlachtbetrieben in Niedersachsen verstießen 58 gegen gesetzliche Vorgaben. Bei den Kontrollen von Ende 2018 bis Anfang 2020 fielen laut Landwirtschaftsministerium des Landes zudem 49 Schlachthöfe durch unzureichende Hygiene in den Produktionsstätten auf.

Der Fleischindustrie nutzt zudem rechtliche Graubereiche knallhart aus. Die Ausbeutung der Arbeiter*innen über Werkverträge und das systematische Unterlaufen des Mindestlohns ist hier das vielleicht prominenteste Beispiel. Aber auch im Bereich der Tierhaltung haben die Fleischkonzerne Geschäftsmodelle gefunden, um die Einhaltung von Tierschutzvorgaben zu umgehen und die damit verbundenen Kosten einzusparen. In der Geflügelfleischindustrie etwa haben Unternehmensgruppen wie PHW (Wiesenhof) oder Rothkötter die Zucht und die Mast von Hühnchen und Puten an sogenannte Vertragsmastbetriebe ausgelagert, um für die andauernden Tierschutzverstöße und elenden Haltungsbedingungen der Tiere nicht verantwortlich gemacht zu werden.

Von den Schlacht- und Fleischkonzernen zu erwarten, dass sie sich mit den neuen Arbeitsschutzmaßnahmen streng an Vorgaben halten, ist vor diesem Hintergrund schlichtweg illusorisch.

Der Schutz der Arbeiter*innen vor Corona-Ausbrüchen ist nicht geklärt:

„Zwölf-Stunden-Schichten an sechs Tagen die Woche, körperliche Schwerstarbeit unter ständigem physischen und psychischen Druck sowie Behausungen, die Erholung und Regeneration nicht zulassen, sondern die Gesundheit zusätzlich gefährden – solche Arbeits- und Lebensbedingungen liefern die Betroffenen und ihre Angehörigen wehrlos einer hochansteckenden Krankheit aus“, warnte Peter Kossen, der sich für die Rechte der Arbeiter*innen einsetzt zu Beginn der Corona-Krise.

Wie der konkrete Gesundheitsschutz der prekär beschäftigten Arbeiter*innen aktuell gewährleistet werden soll, ist auch nach der Ankündigung der Arbeitsschutzmaßnahmen des Bundes ungeklärt. Nach wie vor kommt es bei Schlachhöfen und Fleischverarbeitungsunternehmen zu großen Corona-Ausbrüchen. Die Unternehmen weigern sich, konkrete Maßnahmen umzusetzen, vor allem die Anlagen nach bestätigten Corona-Fällen zu schließen. Westfleisch in Dissen ließ die Produktion auch dann weiterlaufen, als es bereits 92 bestätigte Corona-Fälle gab. Wenige Tage später hatten sich 50 weitere Mitarbeiter*innen infiziert, Vion drohte bei Schließungen mit Klagen und auch bei Müller Fleisch oder Wiesenhof wurde die Produktion aufrecht erhalten.

Aktuell mögen die Infektionszahlen in Deutschland zurückgehen, steigen sie wieder oder gibt es gar eine zweite Welle der Epidemie, sind weitere Corona-Ausbrüche zu erwarten. Die Sammelunterkünfte müssen geschlossen, der Transport in beengten Bussen beendet und Anlagen heruntergefahren werden. Diese Forderungen müssen auch weiterhin in der Öffentlichkeit stark gemacht werden.

Quellen und weitere Informationen:

22.05.2020 – Bündnis Gemeinsam gegen die Tierindustrie: Verbot von Werkverträgen, Kontrollen, höhere Bußgelder. Die Maßnahmen des Arbeitsschutzprogramms für die Fleischindustrie im Überblick. (Watchblog-Artikel)

22.05.2020 – TopAgrar Online: Geflügelwirtschaft „entsetzt“ über Verbot von Werkverträgen in Schlachtbranche

22.05.2020 – NDR: Dissen: 54 neue Corona-Fälle bei Westcrown

21.05.2020 – Tagesschau.de: Wandert die Fleischindustrie ab?

20.05.2020 – ZDG Zentralverband der Deutschen Geflügelwirtschaft: Verbot von Werkverträgen und Arbeitnehmerüberlassung in der Fleischwirtschaft / „Entscheidung ist falsch und unverhältnismäßig – und hat verheerende Konsequenzen für Standort Deutschland“

20.05.2020 – VDF Verband der Fleischwirtschaft: Kabinettsbeschluss zu Werkvertragsregelung in der Fleischwirtschaft höchst fragwürdig

20.05.2020 – Deutschlandfunk Nova: „Die Subunternehmer tricksen wo sie können“

04.05.2020 – NDR: Prüfer stellen viele Mängel auf Schlachthöfen fest

17.03.2020 – Kirche und Leben: Kossen befürchtet viele Corona-Fälle bei Arbeitsmigranten

30.01.2020 – Neue Westfälische: So systematisch ignoriert die Fleischindustrie in NRW den Arbeitsschutz

Chicken slaughterhouse

Nach den Corona-Ausbrüchen bei einer ganzen Reihe von Schlacht- und Fleischverarbeitungsbetrieben entfachte sich eine öffentliche Debatte über den Gesundheits-, Infektions- und Arbeitsschutz in der Fleischindustrie. In der Kritik stand insbesondere die Anstellung zigtausender, meist ost- und südosteuropäischer Arbeiter*innen über Werkverträge und deren unzumutbaren Arbeits- und Lebensbedingungen.

Die Bundesregierung hat vor diesem Hintergrund ein Maßnahmenpaket unter dem Titel „Arbeitsschutzprogramm für die Fleischwirtschaft“ vorgestellt. In den kommenden Monaten sollen zum Teil weiterreichende Maßnahmen wie ein Verbot der Anstellung von Arbeiter*innen über Werkverträge in größeren Schlacht- und Fleischbetrieben umgesetzt werden. Wie sich die Umsetzung gestaltet ist allerdings offen, da es sich bei dem 10-Punkte-Plan des Bundesarbeitsministerium größtenteils um Absichtserklärungen handelt.

Wir geben einen Überblick:

1. Stärkere Kontrollen: Die Durchsetzung des Arbeits-, Infektions- und Gesundheitsschutzes soll verstärkt werden. Arbeitsschutzverwaltungen, Zoll, Gesundheitsämter und Berufsgenossenschaften sollen hierfür stärker zusammenarbeiten und die „Überwachungsquote“ deutlich erhöht werden.

2. Verantwortung für Unterbringung und Infektionsschutz: Die Bundesregierung plant, Unternehmen beim Infektionsschutz am Arbeitsplatz und in Gemeinschaftsunterkünften stärker in die Verantwortung zu nehmen und will hierfür verbindliche Verpflichtungen erarbeiten.

3. Einschränkung von Werkverträgen: Ab kommenden Jahr sollen Unternehmen, deren Kerngeschäft das Schlachten und die Fleischverarbeitung ist, Arbeitnehmer*innen nicht mehr über Werkverträge und Arbeitnehmerüberlassungen anstellen. Es ist die mit Abstand weitreichendste Maßnahme, wobei handwerkliche Betriebe wie Schlachtereien oder Metzgereien vorerst ausgenommen werden sollen.

4. Kontrollen von Wohnunterkünften: Unternehmen, die Gemeinschaftsunterkünfte für Arbeiter*innen stellen, sollen diese den Behörden melden müssen, damit die Wohnbedingungen kontrolliert werden können.

5. Beratung für ausländische Beschäftigte: Die Bundesregierung plant das vom Deutschen Gewerkschaftbund (DGB) getragene Projekt ‚Faire Mobilität‘ und deren Beratungsangebote in verschiedenen Sprachen finanziell stärker zu unterstützen.

6. Digitale Arbeitszeiterfassung: Die Dokumentation der Arbeitszeit der Beschäftigten soll digitalisiert werden, um die gängige Überschreitung von Arbeitsschichten einzuschränken.

7. Höhere Bußgelder: Bei Verstößen gegen das Arbeitszeitgesetz sollen künftig Bußgelder in Höhe von 30.000 statt bisher 15.000 Euro fällig sein.

8. Durchsetzung des Versicherungsschutzes: Die Verwaltungen sollen künftig prüfen, ob Unfall- und Gesundheitsschutzversicherungen für alle Angestellten vorliegen.

9. EU-weiter Informationsaustausch: Im Falle von Corona-Infektionen ausländischer Beschäftigter soll die Bundesregierung die betreffenden Herkunftsländer informieren.

10. Studie zu Arbeitsbedingungen in der Fleischindustrie: Um die Kontrolle von Arbeits- und Arbeitsschutzrechten sowie Fleisch-, Hygiene- und Tierschutzvorschriften zu verbessern, wollen das Arbeits- und Sozialministerium gemeinsam mit dem Landwirtschaftsministerium eine Studie auflegen.

Ob die Maßnahmen tatsächlich zur Durchsetzung eines stärkeren Arbeits-, Gesundheits- und Infektionsschutzes beitragen ist allerdings ungewiss. Es ist gegenwärtig offen, ob sich alle Maßnahmen rechtlich verbindlich umsetzen lassen. Es ist zu erwarten, dass Schlacht- und Fleischkonzerne gegen diese Maßnahmen klagen werden und sich rechtliche Graubereiche zu Nutze machen, um Regelungen und Vorgaben zu umgehen. Und es ist alles andere als ausgeschlossen, dass die Regierung auf Druck der Industrielobby im weiteren Prozess Maßnahmen nicht wieder zurück nimmt. Wir bleiben am Ball!

Quellen und weitere Informationen:

20.05.2020: Bundesministerium für Arbeit und Soziales: Eckpunkt „Arbeitsschutzprogramm für die Fleischwirtschaft“ (PDF-Download)

20.05.2020: Bundesministerium für Arbeit und Soziales: Schärfere Auflagen für die Fleischindustrie (Erklärung zum Arbeitsschutzprogramm)

20.05.2020: Handelsblatt: Regierung will „Sub-Sub-Unternehmertum“ in der Fleischindustrie beenden

20.05.2020: AgrarHeute.com: Bundesregierung will Werkverträge in der Fleischindustrie verbieten

Nach den heftigen Corona-Ausbrüchen in Coesfeld (264 Infizierte) und Oer-Erkenschwick (54 Infizierte) sind bei einem weiteren Westfleisch-Betrieb in Dissen (Niedersachsen) mindestens 92 Mitarbeiter*innen positiv auf das Coronavirus getestet worden. Bei Westcrown, einer von Westfleisch und Danish Crown im Joint Venture betriebenen Fleischverarbeitungsfabrik, sind eine Vielzahl von Werkvertragsbeschäftigten eingesetzt. „Unter ihnen sind zahlreiche Kräfte, die von Subunternehmen beschäftigt werden“, bestätigte der Landkreis Osnabrück, ebenso, dass viele der Betroffenen in Sammelunterkünften in den Landkreisen Osnabrück und Vechta in Niedersachsen sowie in Wesel, Steinfurt und Gütersloh untergebracht sind.

Nach den hohen Infektionszahlen in zahlreichen Betrieben der Fleischindustrie war im Rahmen von Testungen bei Schlachthöfen, Fleischverabreitungsbetrieben und Sammelunterkünften auch eine Aktion im Dissener Unternehmen erfolgt. Der Betrieb in Dissen wurde mittlerweile vorübergehend eingestellt.

18.05.2020, NDR

92 Corona-Fälle in Fleischzerlegebetrieb in Dissen

18.05.2020, HasePost

Massiver Corona-Ausbruch bei Westcrown in Dissen – 92 Infizierte

(Bild: Protest der Initiative Stoppt Westfleisch gegen die Ausbeutung der Werkvertragsarbeiter*innen in der Fleischindustrie in Oer-Erkenschwick am 12.05.2020)

Nachdem der Tierindustrie im Zuge dramatischer Corona-Infektionen von Arbeiter*innen zurzeit ungewöhnlich viel öffentliche Aufmerksamkeit zuteil wird, will die Bundesregierung nun „aufräumen mit diesen Verhältnissen“, wie Arbeitsminister Hubertus Heil am Mittwoch im Bundestag gemeinsam mit Bundeskanzlerin Angela Merkel ankündigte. Die „erschreckenden“ und „beschämenden“ Lebens- und Arbeitsumstände der meist osteuropäischen Werkvertragsbeschäftigten bedürften strengeren Vorschriften, die am Montag beschlossen werden sollen.

Vielen mag diese plötzliche Sorge um die Arbeiter*innen opportun vorkommen. Die prekären Beschäftigungsverhältnisse und ausbeuterischen Geschäftsmodelle wurden schließlich seit Jahren und Jahrzehnten politisch gedeckt und gefördert. „Der Aktionismus der Bundesregierung mitten in der Coronakrise ist nichts als Heuchelei“, meint Norbert Lehmann von agrarheute.

Auch Georg Janßen, Bundesgeschäftsführer der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL), beklagt: „Seit Jahren liegen der Bundesregierung, dem Bundestag, allen Landesregierungen und den betroffenen Kommunen Berichte über unhaltbare Zustände vor. Bislang ergriffene Maßnahmen reichen nicht aus, systematisches Wegsehen und Weghören geht nicht mehr. […] Das System Billigfleisch kennt zu viele Verlierer.“ Die AbL fordert bereits seit langer Zeit arbeitsrechtliche Reformen in der Fleischindustrie.

Quellen und weitere Informationen:

11.05.2020, Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL e.V.): Statt sich zu empären ist Handeln angesagt: System Billigfleisch schafft viele Verlierer. Änderungen dringend notwendig.

13.05.2020, Tagesspiegel: Nach Corona-Fällen in Schlachthöfen: Bundesregierung will in der Fleischindustrie „aufräumen“

15.05.2020, agrarheute.com: Die große Heuchelei über die Arbeit am Schlachtband

Nicht nur in Deutschland bewahrheiten sich die schlimmen Befürchtungen von Arbeitsrechtsinitiativen vor Corona-Ausbrüchen bei Arbeiter*innen in der Tierindustrie: auch international mehren sich Berichte über stark steigende Infektionszahlen in Schlachtbetrieben.

Nachdem es in Großbritannien zu hohen Infektionszahlen und sogar einem Tod gekommen ist, fordern dort Gewerkschaften sofortige Schutzmaßnahmen für die Arbeiter*innen.

Auch in Brasilien ist die Tierindustrie von Corona deutlich betroffen: während die gesicherten Infektionszahlen aufgrund der vergleichsweise geringen Testzahl noch niedrig ausfällt, kommt es zu ersten Produktionsschwierigkeiten. Der größte Geflügelverarbeitungs-Konzern des Landes, BRF, meldet etwa, dass vermehrt Arbeiter*innen aufgrund mangelnder Schutzmaßnahmen streiken und Gesundheitsbehörden Schließungsauflagen androhen.

In Kanada wurden alleine in einem einzigen Fleischverarbeitungsbetrieb von Cargill knapp 1.000 Fälle festgestellt. Unter anderem auch in Australien und Spanien wurden Corona-Fälle in der Fleischindustrie gemeldet.

Nicht zuletzt weist die Fleischindustrie in den USA enorme Folgen durch Corona aus: dort erkankten bereits mehr als 10.000 Arbeiter*innen an dem Virus, mindestens zwanzig erlagen ihrer Erkrankung.

Quellen und weitere Infos:

14.05.2020, GlobalMeatNews.com: German slaughterhouses under fire over ‚insufficient precautionary measures‘ to block COVID-19 spread

11.05.2020, The Guardian online: ‚Chaotic and crazy‘: meat plants around the world struggle with virus outbreaks

Nach den Corona-Ausbrüchen bei Schlachthöfen und Fleischverarbeitungsanlagen bei Müller Fleisch, Vion, Westfleisch und drei weiteren Unternehmen sind auch bei Geflügelfleischkonzern Wiesenhof (PHW-Gruppe) zahlreiche Mitarbeiter*innen mit dem Coronavirus infiziert. 16 bestätigte Fälle gibt es mittlerweile unter den Angestellten der Großschlachterei in Bogen (Niederbayern). Ergebnisse einer am Dienstag veranlassten Massentestung der 1.000 Beschäftigten am Standort stehen allerdings noch aus.

Noch am Samstag (09.05.2020) erklärte das bayerische Gesundheitsministerium gegenüber BR24, keine Veranlassung für Corona-Tests bei Mitarbeiter*innen von Schlachthöfen zu sehen. Ein Sprecher erklärte zu diesem Zeitpunkt, Tests seien derzeit nicht erforderlich, in Bayern habe es in Schlachthöfen keine „Ausbruchssituation“ gegeben. Kritik am Vorgehen kam von der SPD-geführten Landtagsopposition. Mittlerweile hat Ministerin Huml (CSU) allerdings entschieden, alle Mitarbeiter*innen an Schlachthöfen im gesamten Bundesland zu testen.

Die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) nahm ebenfalls Stellung zur Ausbruch in Bogen und kritisiert das erhöhte Infektionsrisiko durch die Unterbringung von Werkvertragsbeschäftigen in Gemeinschaftsunterkünften sowie die prekäre Anstellung der Arbeiter*innen bei Subunternehmen.

Quellen und weitere Informationen:

14.05.2020: Mastanlagen-Widerstand: Corona bei Wiesenhof in Straubing-Bogen

14.05.2020: Passauer Neue Presse: Gesundheitsministerin Huml: Massentest an allen Schlachthöfen in Bayern

13.05.2020: Bayerischer Rundfunk (BR24): Reihentestung von Schlachthof-Mitarbeitern in Bogen beendet

13.05.2020: Bogener Zeitung (idowa.de): 16 bestätigte Fälle von Sars-CoV2 bei Wiesenhof

09.05.2020: Bayerischer Rundfunk (BR24) Keine gesonderten Corona-Kontrollen in Bayerischen Schlachthöfen

Foto: Protest des Aktionsbündnisses Mastanlagen Widerstand am Schlachthof Bogen im März 2013 (Quelle: Mastanlagen Widerstand)

In der Debatte um die Corona-Ausbrüche in Schlachthöfen und die Arbeitsbedingungen von Werkvertragsarbeiter*innen setzen führende Konzerne und Branchenverbände der Fleischindustrie auf Konfrontation. Nach Hunderten Infizierten Mitarbeiter*innen an mittlerweile 6 Standorten werfen Medien, Initiativen und Gewerkschaften den Schlacht- und Fleischverarbeitungsbetrieben fehlenden Gesundheitsschutz in der Corona-Krise und unzureichende Arbeits- und Lebensbedingungen der meist ausländischen Beschäftigten mit Werk- und Leihverträgen vor.

Fleischkonzerne wehren sich gegen Schließungen

Die betroffenen Konzerne selbst sehen trotz der heftigen Ausbrüche keine Veranlassung ihre Betriebe zu schließen und wollen trotz des offenbar erhöhten Infektionsrisikos wie gehabt weiter produzieren. Müller Fleisch (300 positiv getestete Beschäftigte) stellte nach dem Bekanntwerden des Ausbruchs die Produktion nicht ein, die Arbeiter*innen hätten allerdings alle Kontakte außerhalb ihres Arbeitsumfeld abzubrechen und dürften auf dem Weg in ihre Unterkünfte keine Umwege machen.

Vion ließ den Betrieb in Bad Bramstedt (130 Infizierte) zwar kurzfristig ruhen, drohte dem Landkreis Steinburg nun aber mit einer Klage, falls der Schlachthof nicht bald wieder öffnen dürfe, schließlich gäbe es negativ getestete Arbeiter*innen, die den Betrieb aufrecht erhalten könnten.

Auch Westfleisch (250 Fälle an zwei Standorten) sah keinen Grund, den besonders betroffenen Schlachthof Coesfeld zu schließen. Es bedurfte erst einer Eilverfügung des Landkreises und der Landesregierung. Westfleisch klagte daraufhin gegen die Verfügung, die mittlerweile vom Verwaltungsgericht Münster bestätigt wurde. Westfleisch sei „zu einer erheblichen epidemiologischen Gefahrenquelle nicht nur für die eigene Belegschaft geworden“, so das Gericht.

Branchenriesen und Verbände sprechen von Generalverdacht

Die Mitgliedsorganisationen des Deutschen Bauernverbands kritisierten die Schließungen unter anderem in Coesfeld. „Für die rund 1.000 Schweinemäster aus Westfalen-Lippe, die das Werk belieferten, sei das Aufrechterhalten des Schlachtbetriebes enorm wichtig“, kommentierte Hubertus Beringmeier, Vorsitzender des Landwirtschaftsverbands Westfalen-Lippe. Das Landvolk Niedersachsen argumentierte mit Blick auf mögliche Tests bei den Saisonkräften, dass diese „eine Scheinsicherheit suggerieren“ könnten und forderte, die Schlachthöfe schnellstmöglich wieder zu öffnen.

Branchenprimus Tönnies kritisierte das Vorgehen der Behörden und die öffentliche Debatte scharf und sprach von einem „Generalverdacht“ gegen die Fleischindustrie. Zur Frage des Infektionsschutzes meinte der Fleischkonzern lapidar, dass wie in Krankenhäusern oder Pflegeheimen „ein Restrisiko“ bleibe.

Ähnlich äußerte sich auch der Verband der deutschen Fleischwirtschaft (VDF): “Als kritische Infrastruktur habe man die Produktion nicht stoppen können und weiter gearbeitet, um die Versorgung mit Nahrungsmitteln sicherzustellen. So könne es zu Ansteckungen kommen.“

Arbeits- und Lebensbedingungen der Werkvertragsarbeiter*innen kein Thema

In Bezug auf die Arbeitsbedingungen nehmen die Unternehmen und Verbände der Fleischindustrie dagegen kaum Stellung. Der Fleischerverband Niedersachen/Bremen der mittelständische Betriebe mahnte zwar „den Missbrauch von Werkverträgen zu unterbinden“, die Geschäftsführerin des VDF, Heike Harstick, sieht dagegen nicht einmal ein Problem in der Behandlung der Werkvertragsarbeiter*innen und stellt fest, dass „nicht vor allem die Arbeitsbedingungen schuld an den Corona-Ausbrüchen“ seien.

Für Stefan Müller, Geschäftsführer von Müller Fleisch, sind die Arbeits- und Lebensbedingungen der prekär Beschäftigten aus dem ost- und südosteuropäischen Ausland ebenfalls kein Thema. Die Verantwortung für Corona-Ausbrüche sieht er bei den Beschäftigten selbst: Die Rumänen seien halt ein geselliges Volk, es werde viel gefeiert.

Weitere Informationen zum Thema auf dem Watchblog Tierindustrie

Quellen und weitere Informationen:

Bild: Protest von Peter Kossen vor Westfleisch-Schlachthof in Coesfeld am 10.05.2020 (Quelle: Bistum Münster)

Nun wurden auch Corona-Fälle im Schlachthof der Bochumer Fleischhandel GmbH publik: in einer gemeinsame Untersuchung des Bochumer Ordnungsamtes, der Bezirksregierung und des Gesundheitsamtes wurden der Schlachthof sowie die Gemeinschaftsunterkünfte der Arbeiter*innen untersucht. Es wurden mindestens 25 Arbeiter*innen positiv auf Corona getestet, des Weiteren wurden gravierende Mängel bei den Unterkünften festgestellt.

11.05.2020, Neue Rhein/Neue Ruhr Zeitung (NRZ) online:

Schlachthof Bochum: Infizierten-Zahl steigt auf 25 Arbeiter

(Bildquelle: Animal Rights Watch e.V. – ARIWA)

Mehrere Hundert Beschäftigte mit Werkverträgen, meist rumänische Arbeiter*innen, haben sich in den letzten Wochen mit dem Coronavirus infiziert. Die Fleischindustrie ist zum Hotspot der Coronainfektionen in Deutschland geworden. Völlig zurecht steht das Geschäftsmodell von Unternehmen wie Wiesenhof, Tönnies, Westfleisch, VION oder Müller Fleisch in der Kritik. Denn der Großteil der Beschäftigten ist bei Subunternehmern angestellt. Gezahlt wird ein Mindestlohn für Akkordarbeit bei 12-Stunden-Schichten. Die Vertragsfirmen der Schlachtkonzerne machen sich Grauzonen des Arbeitsrechts zunutze und ziehen den Beschäftigten Pauschalen für Arbeitskleidung oder die Unterbringung in beengten Sammelunterkünften ab. Die großen Fleischkonzerne entledigen sich über das Subunternehmertum ihrer Verantwortung für die miserablen Arbeitsbedingungen der Kolleg*innen und den fehlenden Infektions- und Gesundheitsschutz.

Wir dokumentieren an dieser Stelle ausgewählte Beiträge zur aktuellen Debatte:

Bild: Protest von Peter Kossen vor Westfleisch-Schlachthof in Coesfeld am 10.05.2020 (Quelle: Bistum Münster)

Seit 9:30 Uhr steht Sozialpfarrer Peter Kossen heute in Coesfeld vor den Toren eines großen Schlachtbetriebs von „Westfleisch“, des drittgrößten fleischverarbeitenden Konzerns Deutschlands, um besseren Schutz der Arbeiter*innen vor Corona zu erwirken.

Zum jetzigen Zeitpunkt wurden bei 129 der 1.200 Mitarbeiter*innen Infektionen bestätigt, wie der WDR berichtet. Daraufhin bleibt der Betrieb nun vorübergehend geschlossen und Lockerungen werden aufgeschoben. In Nordrhein-Westfalen ordnete die Landesregierung bereits an, dass alle Schlachthofmitarbeiter*innen auf Corona getestet werden müssen. Eine der Forderungen Herrn Kossens und der Katholischen Arbeitnehmerbewegung (KAB), Bezirksverband Coesfeld, lautet, verpflichtende Tests auch in Niedersachsen zu veranlassen.

Wir veröffentlichen im Folgenden die Pressemeldung Herrn Kossens und der KAB Coesfeld vom 8. Mai 2020:

Sozialpfarrer fordert: Arbeitsmigrant*innen besser schützen.
Peter Kossen warnt vor massenweiser Infektion unter Arbeitsmigrant*innen

Coesfeld. Mit Bestürzung reagieren Sozialpfarrer Peter Kossen und die Katholische Arbeit-nehmer-Bewegung (KAB) Bezirksverband Coesfeld auf die Cov19-Infektionen in einer Coesfelder Großschlachterei.

Kossen warnt seit Wochen eindringlich vor einer massenweisen Corona-Infizierung von osteuropäischen Arbeitsmigranten in Großbetrieben. Angesichts prekärer Wohnverhältnisse und harten Arbeitsbedingungen in der Fleischindustrie befürchtet er eine Vielzahl schwerer Verläufe der Corona-Erkrankung bei den Arbeitern und Arbeiterinnen in dieser Branche. Totalerschöpfung und mangelnden Arbeitsschutz beklagt der engagierte Pfarrer und KAB-Vorstandsmitglied. „Der Vorfall in Coesfeld wird nur der Anfang sein“, warnt Kossen.

Enge und gesundheitsgefährdende Unterkünfte, in denen mitunter ganze Familien von Ar-beitsmigranten mit ihren Kindern leben, verschärfen die Infektionsgefahr. Landesweit müs-sen, so fordern KAB und Kossen, die Unterkünfte von Saisonarbeitern in der Fleischindustrie und in der Landwirtschaft verstärkt überprüft und konsequent verbessert werden. „Menschenwürdiges Leben und Arbeiten ein Menschenrecht“, betont der katholische Sozialver-band KAB.

Arbeits- und Wohnbedingungen schnell ändern.

Kossen fordert von den Unternehmen und den Behörden schnellstmöglich umfassende und wirksame Maßnahmen zum Schutz der Arbeitsmigranten. „Die Arbeits- und Lebensbedingungen der in der Fleischindustrie-Beschäftigten liefern die Betroffenen und ihre Angehörigen wehrlos einer hochansteckenden und sehr gefährlichen Krankheit aus,“ so Kossen. Es müsse jetzt sehr schnell gehandelt werden. Sonst könne der Fall Coesfeld schnell nur der Anfang einer massiven Infektionswelle für die Arbeiter*innen sein.

08.05.2020, WDR.de
Corona bei Westfleisch: Betrieb in Coesfeld wird geschlossen

Zum Thema berichteten wir bereits am 6. Mai 2020:
Corona nun auch in Westfleisch-Schlachthof

(Bild „Werksgelände des Fleischcenters Coesfeld von Westfleisch“ @ Meatandbeef)

Die Fleischindustrie in den USA verzeichnet eine hohe Zahl an Corona-Fällen: Ende April waren fast 5.000 Arbeiter*innen von 115 Fleischverarbeitungsbetrieben in 19 US-Staaten mit Corona infiziert – 20 Arbeiter*innen erkrankten tödlich. Alleine in einem Betrieb von Triumph Foods wurden fast 400 Arbeiter*innen positiv getestet, was einer Quote von 13% in dem Betrieb entspricht.

Vergangene Woche hatte Präsident Trump bereits eine Verordnung erlassen, um der Fleischindustrie schnelle Wiedereröffnungen von Betrieben nach Corona-Fällen zu ermöglichen. Dennoch verlautbart der Konzern Tyson, der jede Woche 35 Millionen Hühner, 424.000 Schweine und 130.000 Rinder schlachtet, dass weitere Corona-Fälle und damit weitere Schlachthof-Schließungen zu erwarten sind.

In einigen Betrieben, die trotz Corona-Fällen weiterproduzieren wollen, setzen sich die Arbeiter*innen erfolgreich zur Wehr: Sie protestieren und streiken für angemessene Schutz- und Hygienemaßnahmen sowie ein Ende der Ausbeutung durch die Konzerne.

04.05.2020, Forbes online:

COVID-19 Detected At Meat Processing Plants In 19 U.S. States

04.05.2020, CNN Business online:

Tyson warns more meat plant closures are coming

04.05.2020, Business Insider online:

Nearly 400 employees at a Missouri pork plant tested positive for COVID-19.

30.04.2020, World Socialist Web Site:

Trump kommandiert Arbeiter zurück in Fleischbetriebe, Widerstand gegen Back-to-Work nimmt zu

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themenübersicht

Aktuell – Corona-Ausbrüche in der Fleischindustrie: über Corona-Infektionen in Schlachthöfen und  Fleischfabriken.

Arbeitsrecht: über die Ausbeutung der Arbeiter*innen durch die Tierindustrie.

Tierausbeutung: über die Ausbeutung von Tieren.

Futtermittel: über Futtermittelimporte, Naturzerstörung und Menschenrechts-Verletzungen

Agrarpolitik: über Subventionen, EU-Agrarpolitik uvm.

Lobbyismus: über die Agrarlobby und Einflussnahme der Tierindustrie

Tierindustrie Global: über Entwicklungen aus allen Teilen der Welt.

berichte über konzerne

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Tönnies

VION

Westfleisch